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Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Titel: Die Belagerung der Welt - Romanjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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hatte damals bereits einen Namen als Kunstkritiker bei der Neuen Zürcher Zeitung , während er ein noch recht unbekannter deutscher Maler in Paris war, der kaum ausstellte und wenig verkaufte, jedoch den Krieg erlebt hatte. Er war gleich nach Kriegsende in Stuttgart Schüler bei Willi Baumeister gewesen, hatte abstrakt gemalt, war aber noch in den vierziger Jahren, noch zur Zeit der Wols und anderer deutscher Künstler, nach Frankreich gekommen, erst nach Südfrankreich, dann nach Paris, er wohnte im Montparnasse-Viertel, rue de la Tombe Issoire. Ich war damals in den fünfziger Jahren noch nie »draußen« gewesen, schon gar nicht im Krieg. Ich war brav verheiratet (mit Martinas Schwester), Museumsassistent und Kritiker mit regelmäßigem, wenn auch äußerst knappem Monatseinkommen. Wenn er uns besuchen kam, dann hatte ich ihm gegenüber ein niederschmetterndes Angestellten- und Provinzlergefühl.
    Damals habe ich Bruno Diemer von meinen literarischen
Vorlieben (vielleicht Pasternak?) erzählt, und er wies mich auf Henry Miller und vor allem Louis-Ferdinand Céline hin. Das verdanke ich ihm. Es war noch vor meinem Rom-Jahr. Ich muß an den Gleitenden Plätzen geschrieben haben.
    Wie sah es also damals für mich in Paris aus, wenn ich von der Zeitung zu Ausstellungsbesuchen hingeschickt wurde? Ich pflegte schon von der Gare de l'Est aus ein Taxi zu nehmen, um gleich (mit allen mitgebrachten Spesenvorschüssen) bei Bruno an der rue de la Tombe Issoire, Nähe Denfert-Rochereau, einzutrudeln. Es gab da einen recht geräumigen Innenhof, auf dessen Mittelfeld Bruno eine Baracke oder ein Gartenhäuschen bewohnte, das er mittlerweile ingeniös und liebevoll ausgebaut hatte, und zwar mit Dusche und Küche. Er hatte die städtischen Gas- oder zumindest Wasserleitungen angezapft. Diese »Wohnung« bestand aus einem Atelier, in welchem er auf etwa einem Drittel der Fläche einen höheren Boden, ein Mezzanin, eingezogen hatte, und darauf befand sich das Bett. Eine unwahrscheinlich kleinstufige harthölzerne Wendeltreppe führte zum Bettbereich. Bruno malte Figurenbilder, die einen surrealistischen Einschlag hatten, etwa einen Frauenbaum, die Frauenglieder dornenvoll, aber in den Stellungen monströs und obszön. Er arbeitete daran über lange Zeit in einer Altmeistertechnik, akribisch, wie wenn es sich um Mathematik gehandelt hätte. Später machte er dann – unter dem »lösenden wärmenden befruchtenden Einfluß« Martinas, wie sie immer zu dozieren pflegte – Stilleben mit Krügen, die schon beinah gemütlich und weniger dornenvoll wirkten gegenüber den Bosch-artigen früheren Dingen.
    Neben diesem Atelier gab es einen Wohnraum, Holz in Holz, wie in einem Wohnschiff, mit Tischchen, Decken, Stühlen und allem, was dazugehört, bloß alles enger und kleiner als normalerweise. Man mußte andauernd aufpassen, daß man
nicht aneckte, nichts zerstörte, sich hindurchwinden konnte. Dann ging es über die Küchenecke in den besagten Duschraum. Und draußen war sogar eine Art Zaun, denn gegenüber hatte ein Exil-Amerikaner eine Baracke oder ein Atelier, allerdings viel kostspieliger und geräumiger ausgestattet als dasjenige Brunos; auch lebte er mit einer recht hübschen jungen Spanierin zusammen, die wie eine Gauguin-Frau am Zaun stehen und »Guten Tag, Herr Gauguin« sagen konnte. Außerdem gab es einen hübschen Schäfer-ähnlichen Hund bei denen, der auch am Zaun entlangstrich. Jedenfalls respektierte man gegenseitig die Hoheitsgebiete.
    Von besagtem Amerikaner wußte Bruno zu erzählen, er habe als Pianist angefangen, großspurig und gestopft mit Geld, übrigens gab es den Flügel noch; auch sei er in einem imposanten Sportwagen vorgefahren, habe aber, nach einiger Zeit und entsprechenden Verausgabungen, den Gürtel enger schnallen müssen und vorerst den Rennwagen noch gefahren, aber mit ausgewechseltem Motor. Irgendwer oder er selber habe den starken vielpferdigen Motor ausgebaut und einen schlichten von VW eingebaut, so daß die Fassade vorerst gewahrt werden konnte, aber Benzinverbrauch und Steuern auf ein erträgliches Maß sanken. Bruno wußte viele solcher Geschichten von Pariser Leuten zu erzählen, was mir sehr imponierte: zeigte es doch, daß man hier eben in der Welt, in der großen Welt lebte und nicht in der Provinz und daß man einiges an

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