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Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Titel: Die Belagerung der Welt - Romanjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Pariser »Mouvement pour la libération des femmes« in der Cartoucherie de Vincennes. Raymonde, die Frau von Hubschmid, ist enragiertes Mitglied der Bewegung und schleuste uns ein. Es zeigte sich nämlich, daß die Männer nur in Begleitung von Frauen zugelassen waren: Übrigens hatten ab sechs Uhr alle männlichen Wesen, selbst die militanten Homosexuellen, das Areal zu verlassen, damit »les femmes puissent s'exprimer«.
    Rein äußerlich wirkten die zahlreich herbeigeströmten Besucher ihrem Habitus nach durchweg unbürgerlich. Eine Längsseite des Areals (um ehemalige Munitionsfabriken herum) war mit Strohballen – anstelle von Stühlen – ausgelegt, damit man sich (weich) lagern konnte. Dann auf einer Bühne ununterbrochen Sketche, Agitation der kämpferischen Frauen, Aufklärung, Aufwiegelung, laut durch Lautsprecher hallend, erhobene Fäuste, Chorgesang, Frage-und-Antwort-Gellen. Das Revolutionäre wirkte hier gleich viel selbstverständlicher als bei uns, weil in Frankreich eine entsprechende Tradition vorherrscht. Überhaupt zeigt sich in allen Gesprächen, welch bewußtseinsprägende Rolle die Mai-Revolution 68 gespielt hat und wie groß nun die Desillusionierung ist. Immerhin hat man Praktiken und Gehabe noch in lebendiger Erinnerung, so auch hier. Raymonde ist aktiv in der Bewegung (die zum Teil so weit geht, daß die – übrigens vorwiegend sehr jungen – Mädchen den Männern den Geschlechtsverkehr verweigern). Sie hat eine ungeheuerliche Puppe einer dominierenden Monsterfrau geschaffen, einen Männerschreck … Agitationskunst?
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    Reizwort »Mitte des Lebens«.
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    In mancher Hinsicht wäre der vorliegende Pariser Aufenthalt eine Lagebesichtigung im Sinne des Gerichthaltens mit sich selbst und einer Konfrontation mit der »verlorenen Zeit«. Er sieht, daß die Verheißung aufgebraucht ist. Zwar kann er immer noch in sich selbst eine erhebliche Weltliebe mobilisieren, wie sie nur das Wunder der Großstadt provoziert. Das wären Pariser Hymnen und Pariser Passagen … aber – ist er je eingedrungen, angekommen? Anders gesagt: Was war der Traum, war die Hoffnung? Etwa: in ein viel vollständigeres Leben, ein rauschendes Leben zu gelangen, aber um was zu werden bzw. beizutragen? War es unstillbare Genußsucht, was ihn trieb? War es das Glückswunschpaket »Ruhm, Reichtum, Liebe«, was er zu erobern träumte? Es war der Traum vom »In die Welt kommen«. Diese Lagebesichtigung oder auch dieses Gerichthalten auf dem Schauplatz Paris könnte man vielleicht äußerlich so motivieren, daß er eine kleine Erbschaft anzutreten hätte oder daß es der Tod einer Anverwandten wäre, der dazu Anlaß gäbe.
    Â»Blick in die verlorene Zeit«. Übrigens müßte nicht nur im Buch, sondern auch für das Leben des Autors ein Entschluß reifen, was er mit der anderen »Hälfte des Lebens« anfangen will.
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    Ich verhalte mich der Gegenwart gegenüber wie eine Jungfer, die die Freier nicht sehen will, weil der geträumte Prinz nicht kam oder nicht mehr ist – dieses kindisch-trotzige Verhalten und Versagen, ein wenig auch wie einer, der seinen Traum nicht aufzugeben, aber in unseren Verhältnissen auch nicht zu leben bereit ist. Célines Haß gehört auch in dieses Kapitel.
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    Bruno Diemer hieß er. Er hatte dieses Stirnlachen. Er schlürfte das Lachen still und mit Marabu-artigem Nicken des Kopfes in die Stirnhöhle hinauf, wo es ungehört verhallte, dabei verzog er die Mund- und Augenwinkel zu einer Lachmaske. Er war groß gewachsen, schlank. Und er hatte den Krieg hinter sich, sowohl Luftschlacht um London (als Bordfunker?) wie – später – Monte Cassino. Er erzählte von Leuten, die stundenlang einen Fuß aus dem Erdloch streckten in der Hoffnung, daß eine verirrte Kugel sie (möglichst nicht allzu gravierend) treffe und aus dem Kampfgeschehen retten möge. Er desertierte, saß im Keller seiner Mutter, als der Krieg zu Ende war, in einem kleinen Städtchen in Baden-Württemberg (wo später auch die Beerdigung war). Er galt als Liebling der Frauen. Seine Frau Martina, Brigittes Schwester, sagte so tolle Dinge wie »Meine Sonne« zu ihm. Er war für sie eine Cherubserscheinung. Wir zwei hatten ein gewisses Konkurrenzverhältnis. Ich

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