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Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Titel: Die Belagerung der Welt - Romanjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Improvisationstalent aufbieten mußte, um sich hier durchschlagen zu können.
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    In Florenz gewesen. Über die italienische Autobahn hab ich schon früh zu schreiben versucht, über dieses ungeheuer befreite, glücklich und tatkräftig stimmende Sausen in diesem Himmelslicht, das bis zur Erde reicht. Und die Eleganz der Autostrada-Bauten und Raststätten. Die merkwürdige Ge
meinschaft dieser blitzend dahinsausenden Straßenbenutzer.
    In Italien ein feurig erotischer Impetus. In Frankreich eine milde lyrische Weite. Fläche mit den meilenweit verstreuten oder lagernden schwarzen und gefleckten freien Kühen. Und dann die Routiers, die Lastwagenfahrer, diese Gilde starker Männer in den Riesenbrummern. Und die Leere rührt daher, daß alles auf Paris zielt, alles von dorther magnetisch angezogen wird; und, was weit ab von der Hauptstadt, leer oder Provinz scheint. Und zu Frankreich gehören die schönen Pappelalleen, die napoleonischen, auch die Schlösser (zu welchem Frankreich?)
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    Aus Bern zurück. Im Historischen Museum gewesen und über »Schatten auf Rasen« ins alte Museumsgefängnis. Wiederum lagerten auf all den düsteren (burgartigen) Treppen Schüler, Kinder und Halbwüchsige unter den steifen Porträts der alten regierungsfähigen Familien, hatten ihre schulsauren Mäntel und Taschen wie in Bahnhofshallen herumliegen. Ist mir wieder eingefallen, wie ich damals einen Beruf, nämlich den des wissenschaftlichen Assistenten, mehr gespielt als wirklich gelebt hatte.
    Im Museum, wenn man hinaustritt, hat man den Helvetiaplatz vor Augen, die schöne freie Straßenrichtung gegen den Thunplatz; zur anderen Seite die hohe Brücke mit Blick hinunter auf Marzili oder auf die rauschende Aare im Schwellenmätteli, auch auf die Matte, wo ich gewohnt habe. Ich hatte fast vergessen, daß da mitten in der Stadt soviel Himmelsraum und Landschaft und alte Schönheit ist – wie beispielsweise die hängenden Gärten der hinteren Junkerngasse.
    Im Museum wurde mir zugetragen, daß eine ehemalige, mir überaus sympathische Angestellte etwa eine halbe Million
Pensionskassengelder unterschlagen hatte. Sie soll sie in kleinen Raten beiseitegeschafft und größtenteils für wohltätige Zwecke verwendet haben. Niemand hätte ihr so etwas zugetraut. Anscheinend brachte der Prozeß noch an den Tag, daß sie von einem katholischen Priester, oder irre ich mich?, einen Sohn hat.
    Und ein anderer Angestellter hat sich eines Mittags im Waffenkämmerchen erschossen, nachdem er sich an die Münzen im Münzkabinett (aus Neugier?) herangemacht hatte und dabei ertappt worden war. Er ging zum Direktor, um sich zu erklären, die Exponate waren vollständig da. Und nur weil der Vorgesetzte nicht das richtige Wort fand – »Beruhigen Sie sich erst einmal, dann wollen wir weitersehen« oder dergleichen –, hat sich der Verdächtige, ein Vater und Großvater, der zu Hause Kaninchen züchtete, auf der Stelle umgebracht.
    Und ein anderer, der hinkende Etikettenschreiber, der Taubstumme, der Lippenleser, der liebe – er hat für sich nebenher kunstgeschlossert und immer neue Ausbildungskurse absolviert, soweit ich mich erinnere –, dieser Mann, erzählte man mir, sei immer an der Metzgergasse auf Hurenfang in die Kneipen gegangen, und um sich verständlich zu machen, habe er tolle Zeichnungen mit Penis und allem vorgelegt, um auszudrücken, was er wolle, nämlich eine Frau. Die hätten ihn immer ausgenommen und ausgelacht, klar, und jetzt ist er auch tot.
    Und der alte Rußlandschweizer, Agronom unter dem Zaren und noch zur Zeit der Sowjetunion, ein Flüchtling, der im Museum als Zeichner untergekommen und mein besonderer Freund gewesen war, sei ganz nobel und gelassen im Spital an Krebs gestorben. Er habe meinem Vertrauensmann bei seinem Besuch im Spital die Brust voller Knollen vorgewiesen, dann das Hemd wieder zugemacht. Es sei aus mit ihm und vorbei, Teufelssohn, habe er gesagt. Museumsnach
richten, jene kurze Zeit betreffend, da ich Angestellter und Teil der Museumsfamilie gewesen war.
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    Plötzlich ging im Hof Stockerstraße-Tödistraße Solschenizyn an mir vorbei. Sein Anwalt Heeb hat seine Praxis in unserem Hof. Ging er da mit seinem »angeklebten« Bart, dem durch die fein gebogene Nase, gewölbte Stirn und mittelalterliche Haartracht

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