Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Titel: Die Belagerung der Welt - Romanjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
Vom Netzwerk:
Burghölzli – Diagnose: schizophren.
    Â 
    Â 
    Ich war auf Asienfahrt und seitdem plemplem oder auch: desorientiert, sommerlich vegetierend. Auch Sommerpleite. Kein Geld, kein Freiraum. Mutter zur Sommerpause da. Die Kinder in den Ferien und von den Ferien zurück. Viel mit Willy Spiller herumgestrolcht, eine Art mutwilliger Verlängerung unseres fernöstlichen Reiseteams, On-the-road-Seins. Willy ist übrigens sehr anhänglich seitdem, sagt immer, mit mir sei das Reisen halt viel lebensvoller als mit anderen.
    Â 
    Â 
    Ich lese in den Briefen Robert Walsers. Eine richtige Qual für mich. Über lange, eigentlich über die längsten Strecken habe ich das Gefühl, nicht ein richtiger Schriftsteller, nicht ein Selbstverantwortlicher, sondern ein »Naiver«, ein Knechtlein, der selber gar nicht wisse, was ihm in den besten Fällen aus der Feder fließe, sei da am Werk. Krankheitsäußerung? Man hat den Eindruck, er schreibe wie ein inhaftierter Sonntagsmaler. Da ist diese fast wichtigste Briefpartnerin, Frau Frieda Mermet (geborene Schneider), Büglerin in der Anstalt Bellelay im Jura, ungefähr gleichaltrig wie Walser, also auf dem Zenit des entsprechenden Briefverkehrs gegen 40, geschieden und Mutter eines halbwüchsigen Jungen namens Louis. Er ist offensichtlich in diese »liebe Frau Mermet« verliebt, aber das äußert sich hauptsächlich so, daß sie ihm Käse und Speck, auch Socken und Hemden als Geschenke schickt und er ihr Dankesbriefe schreibt. Aber die anzügliche Art seiner Verehrung, die ihm Anlaß gibt zu allen Formen der Selbsterniedrigung und einer entsprechend verdrehten Courtoisie, ist das wirklich Schreckliche beim Lesen. »Ich danke Ihnen herzlich für die guten Sachen wie Käs, Anken, Schinken- und Bifsteckspitzen, nebst Brot, lauter nahrhafte Dinge, die ich mir habe schmecken lassen. Einer so guten Frau anhänglich zu bleiben, ist ja ein Genuß, das werden Sie glauben.« Er schreibt in der Stellung eines braven dankbaren Kindes, das alles ordentlich schülerhaft verzeichnet, was man ihm geschenkt hat und gleichzeitig unterstreichen möchte, daß es auch alles ordentlich aufgegessen habe. Und vom Stil her ist das Unbeholfene, ja Berndeutsche nicht etwa Manier, sondern dem Schreiber natürliche Ausdrucksform. Er ist beim Schreiben auf diesem Niveau. Und fast alle Briefe an diese Frau haben zum überwältigenden Teil mit Essen, Verdankung von Essen, von Freßpäckli und Eßgeschenken, zu tun, mit der genauen Verzeichnung der Gaben und der ebensolchen Vermerkung, alles brav aufgegessen zu
haben. Es ist die Devotheit des leicht eingeschüchterten Kindes einer gestrengen und darum nur um so mehr verehrten übergroßen Mutter gegenüber. Und nun stelle man sich vor, daß es sich um einen Dichter, sogar um einen berühmten, handelt, der so zu einer einfachen Frau, Glätterin in einer Anstalt, schreibt. Selbsterniedrigung, Überhöhung des Adressaten und Bravsein – Bravsein um alles in der Welt.
    Und Betteln um Strafe: Selbstbestrafungsallüre? »Ich strenge Ihre lieben Augen ein wenig sehr an mit diesem engen Gekribsel, nicht wahr, liebe Mama. Vielleicht haben Sie nicht ungern, daß ich Sie so nenne. Es ist dann so, als wenn ich Ihnen in allem gehorsam sein müßte, wie ein kleiner Bub; das möchte ich gerne. Hin und wieder würden Sie recht streng sein und mich strafen, dann würde ich vor Sie hinknien müssen und Sie um Verzeihung bitten. Ueberhaupt würde mich Mama ganz nach Laune und lieber Willkür behandeln. Das sind allerlei einfältige Gedanken, werden Sie sagen, die sich für einen dummen Jungen ziemen oder nicht einmal für einen solchen, aber mir sind es liebe Gedanken. Sie sollten mich einmal recht bei der Nase nehmen mit Ihrer Hand, d. h. mir die Nase mit zwei Fingerchen fest einklemmen, und mich dabei fest und energisch anschauen.«
    Im selben Brief hatte er geschrieben: »Wissen Sie, liebe Frau Mermet, was ich mir wünsche? Sie seien eine vornehme schöne Madame und ich dürfte dann Ihre Magd sein und eine Mädchenschürze umhaben und Sie bedienen, und wenn Sie nicht zufrieden wären, ich irgendwie Ihren Unmut hervorgerufen hätte, so würden Sie mir Kläpfe geben, nicht wahr, und ich würde über die lieben Kläpfe hellauflachen. Das wäre ein hübscheres Leben für mich als die

Weitere Kostenlose Bücher