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Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Titel: Die Belagerung der Welt - Romanjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Schriftstellerexistenz, die ja freilich auch nicht übel ist. Damenbinden, Monatsbinden, Gestältchen für Mädchen, Windelhöschen aus Baumwollflanelle. Sie werden sagen, daß ich der reinste
Handelsmann sei oder mich für Damensachen furchtbar interessiere. Eine nette Sorte Dichter, nicht wahr?«
    Wenn man das liest, denkt man, man habe, gelinde gesagt, einen in bezug auf das weibliche Geschlecht Verqueren vor sich. Einesteils diese Anzüglichkeiten, die darin verborgene Sexuallüsternheit, die aber in Selbstbestrafung umschlägt, so daß der Gegenstand der Gier, die Frau, erhöht und ins Überlebensgroße vergrößert wird, in die Große Mutter, der Adorant aber sich in die Magd verwandeln möchte, weil er anders keinen Weg sieht, der Verehrten nahezukommen. Die höchste Lust: von der Verehrten bestraft zu werden.
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    Vincent van Gogh suchte keinen Modernismus, er wollte im Gegenteil das erreichen, was ihm bei den alten Meistern so bestürzend begegnete, vor allem deren humane Qualitäten strebte er an, deren Ethik. Er wurde gewissermaßen nolens volens zum Neuerer.
    Ich merke, während ich mich jetzt, nach so langer Zeit, wieder mit den Briefen van Goghs auseinandersetze, wie sehr mich dieser Künstler und Mensch am Anfang meiner Laufbahn bestimmt hat. Beispielsweise das Glück, im Künstlerischen das Handwerk mitzusehen, stammt von daher. (Dasselbe gilt für Robert Walser.) Dann: die Vorstellung, mit einem Werk beschäftigt zu sein oder: auf einem langen Anmarsch dorthin. Das »Sichheranarbeiten« – an die Wirklichkeit. Er hat es mit dem Zeichnen, den vielen Figurenstudien, Schritt für Schritt getan. Welch ein Ringen, um die Mittel zu erlangen, die gestalterischen Mittel. Welch ein Stufenprogramm. Das Künstlerische als der einzig mögliche Lebenszugang.
    Van Goghs Überzeugung, daß er das eigene Leben opfere für sein Werk. Überhaupt sieht er die großen Künstler als Märtyrer, aber auch als Sendboten, die sich in einer Art Staf
fellauf die Fackel in die Hand drücken. Er selber sah sich als »Vorläufer«, als Täufer, als Wegbereiter für eine kommende Kunst. Und mit der Kunst wollte er Menschen schaffen mit einem Heiligenschein, obwohl sie ganz gewöhnliche Menschen wären … Erstaunlich ist die hohe Einstufung der Kunst bei van Goghs sozialem Fanatismus, seinem urchristlichen Engagement. Kunst als Lebenserweckung? Als Trost jedenfalls. Farner sprach von der »Heilung durch den Geist«.
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    Mich beschäftigt zur Zeit der Gedanke, daß ich gerade jetzt, vor dem nächsten Schlag oder Roman oder Entwicklungsschritt (den ich im Herbst/Winter mit ungeteilter Kraft zu führen entschlossen bin, weiß noch nicht wo, vielleicht sogar in Zürich, wer weiß) gleichzeitig mit zwei Gestalten oder Göttern bzw. Geistern mich herumschlagen muß, die beide für meine Laufbahn oder besser: für den Start derselben so entscheidend waren. Walser hat mich präfiguriert im empfänglichsten Alter, und ich stoße auf geradezu erschreckende Wahrheiten bezüglich Verwandtschaft, Anlage, Nöte und Tugenden, ich stoße auf verblüffende Affinitäten (die mir gar nicht sonderlich gefallen). Und andererseits war ja van Gogh, siehe Stolz , ebenfalls ein zentraler Anstoß. Und beide zusammen kamen nicht recht ins Mannesalter hinein und haben auch sonst diverse Parallelen, nicht nur die »Schizophrenie« und das frühe Verlöschen. Parallelen bezüglich einer spezifischen Einsamkeit, Melancholie und Lebensunfähigkeit.
    Ich kehre also gegenwärtig zu Ursprüngen zurück, zu neuer Selbstfundierung. Übrigens litten beide an einer Art Narzißmus und entsprechenden Absonderung und Unfähigkeit »hinaus«, das heißt »auf die Welt« zu kommen, so daß sich beide an Deskription klammerten. Beide konnten nicht »erfinden« und waren schrecklich subjektiv, bloß daß der eine
dieses Manko mit einem Riesensystem von Füllseln verschleierte und der andere es in einem Amok an »Hineinversetzung«, Identifikation zu kompensieren trachtete. Indem ich über die beiden nachdenke, betreibe ich Klärungsarbeit an mir.
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    Vor einer Woche aus Rom zurück. Die dort gemachten Notizen werden folgen. Seit der Rückkehr, genauer: seit der Rückkehr aus Bracciano, wo Marianne und ich bei Kiens zu Besuch waren, bin ich

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