Die Belagerung der Welt - Romanjahre
Schriftstellerexistenz, die ja freilich auch nicht übel ist. Damenbinden, Monatsbinden, Gestältchen für Mädchen, Windelhöschen aus Baumwollflanelle. Sie werden sagen, daà ich der reinste
Handelsmann sei oder mich für Damensachen furchtbar interessiere. Eine nette Sorte Dichter, nicht wahr?«
Wenn man das liest, denkt man, man habe, gelinde gesagt, einen in bezug auf das weibliche Geschlecht Verqueren vor sich. Einesteils diese Anzüglichkeiten, die darin verborgene Sexuallüsternheit, die aber in Selbstbestrafung umschlägt, so daà der Gegenstand der Gier, die Frau, erhöht und ins ÃberlebensgroÃe vergröÃert wird, in die GroÃe Mutter, der Adorant aber sich in die Magd verwandeln möchte, weil er anders keinen Weg sieht, der Verehrten nahezukommen. Die höchste Lust: von der Verehrten bestraft zu werden.
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Vincent van Gogh suchte keinen Modernismus, er wollte im Gegenteil das erreichen, was ihm bei den alten Meistern so bestürzend begegnete, vor allem deren humane Qualitäten strebte er an, deren Ethik. Er wurde gewissermaÃen nolens volens zum Neuerer.
Ich merke, während ich mich jetzt, nach so langer Zeit, wieder mit den Briefen van Goghs auseinandersetze, wie sehr mich dieser Künstler und Mensch am Anfang meiner Laufbahn bestimmt hat. Beispielsweise das Glück, im Künstlerischen das Handwerk mitzusehen, stammt von daher. (Dasselbe gilt für Robert Walser.) Dann: die Vorstellung, mit einem Werk beschäftigt zu sein oder: auf einem langen Anmarsch dorthin. Das »Sichheranarbeiten« â an die Wirklichkeit. Er hat es mit dem Zeichnen, den vielen Figurenstudien, Schritt für Schritt getan. Welch ein Ringen, um die Mittel zu erlangen, die gestalterischen Mittel. Welch ein Stufenprogramm. Das Künstlerische als der einzig mögliche Lebenszugang.
Van Goghs Ãberzeugung, daà er das eigene Leben opfere für sein Werk. Ãberhaupt sieht er die groÃen Künstler als Märtyrer, aber auch als Sendboten, die sich in einer Art Staf
fellauf die Fackel in die Hand drücken. Er selber sah sich als »Vorläufer«, als Täufer, als Wegbereiter für eine kommende Kunst. Und mit der Kunst wollte er Menschen schaffen mit einem Heiligenschein, obwohl sie ganz gewöhnliche Menschen wären ⦠Erstaunlich ist die hohe Einstufung der Kunst bei van Goghs sozialem Fanatismus, seinem urchristlichen Engagement. Kunst als Lebenserweckung? Als Trost jedenfalls. Farner sprach von der »Heilung durch den Geist«.
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Mich beschäftigt zur Zeit der Gedanke, daà ich gerade jetzt, vor dem nächsten Schlag oder Roman oder Entwicklungsschritt (den ich im Herbst/Winter mit ungeteilter Kraft zu führen entschlossen bin, weià noch nicht wo, vielleicht sogar in Zürich, wer weiÃ) gleichzeitig mit zwei Gestalten oder Göttern bzw. Geistern mich herumschlagen muÃ, die beide für meine Laufbahn oder besser: für den Start derselben so entscheidend waren. Walser hat mich präfiguriert im empfänglichsten Alter, und ich stoÃe auf geradezu erschreckende Wahrheiten bezüglich Verwandtschaft, Anlage, Nöte und Tugenden, ich stoÃe auf verblüffende Affinitäten (die mir gar nicht sonderlich gefallen). Und andererseits war ja van Gogh, siehe Stolz , ebenfalls ein zentraler AnstoÃ. Und beide zusammen kamen nicht recht ins Mannesalter hinein und haben auch sonst diverse Parallelen, nicht nur die »Schizophrenie« und das frühe Verlöschen. Parallelen bezüglich einer spezifischen Einsamkeit, Melancholie und Lebensunfähigkeit.
Ich kehre also gegenwärtig zu Ursprüngen zurück, zu neuer Selbstfundierung. Ãbrigens litten beide an einer Art NarziÃmus und entsprechenden Absonderung und Unfähigkeit »hinaus«, das heiÃt »auf die Welt« zu kommen, so daà sich beide an Deskription klammerten. Beide konnten nicht »erfinden« und waren schrecklich subjektiv, bloà daà der eine
dieses Manko mit einem Riesensystem von Füllseln verschleierte und der andere es in einem Amok an »Hineinversetzung«, Identifikation zu kompensieren trachtete. Indem ich über die beiden nachdenke, betreibe ich Klärungsarbeit an mir.
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Vor einer Woche aus Rom zurück. Die dort gemachten Notizen werden folgen. Seit der Rückkehr, genauer: seit der Rückkehr aus Bracciano, wo Marianne und ich bei Kiens zu Besuch waren, bin ich
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