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Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Titel: Die Belagerung der Welt - Romanjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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sagte beim Abendessen, heute sollst du nicht so viel trinken, trink noch einen Kaffee, wir wollen diese Nacht nicht schlafen. Und nun stehen sie da, wortlos, weil gedankenvoll oder auch bange, unter den Augen des Empfangschefs oder einfach jungen Mannes vom Hotelfamilienbetrieb, warten aufs Taxi. Es regnet, als sie hinausgehen, es ist früh, vor Tag, früh im Jahr auch, aber gerade dieser Tage war da in Paris ein Frühlingseinbruch, als hätte der Himmel ihnen alles verhimmeln oder schmerzlich schön machen wollen in diesem Hotel, das zudem noch »Hôtel du Paradis« hieß.
    Ich sah dieses Frühlicht oder nein, die Gräue des Morgengrauens, als wir hinaustraten, mit den Augen des sich Erin
nernden, mitten in der Gegenwart war mir bewußt, daß ich mich daran erinnern würde, an diesen kleinen Gang die Treppen des Hotels und die längeren Treppen des baumbestandenen Platzes vor dem Hotel zur Straße hinunter, wo das Taxi im Regen wartete. Es regnete grau und schräg durch die Bäume, durch das Grauen des Morgens, es war ein Regen, der nicht andauern würde, eine kurze Angelegenheit der Frühe, nicht für die Augen der Menschen bestimmt, und wir gingen in dieser Stummheit, versiegelt und bis zum Überlaufen voll von Abschiedsbewußtsein, Trennungswissen die Stufen hinunter, Hand in Hand, ich fühle noch die kleine warme schöne Hand mit den Fingern, die sich emporzubiegen scheinen, wenn sie ausgestreckt sind, und mit den schlanken schmalen, aber nicht besonders langen Nägeln, jeder Nagelfinger eine Schönheit, und wir gingen zum Taxi. Stumm. Es gab nichts zu sagen.
    Wir hatten uns die Nacht sehr geliebt, wie wir es übrigens immer taten, wir konnten ja nicht auseinander, nie voneinander lassen.
    Odile hat diesen ihr eigentümlichen Gang beim kurzen Weg zum Taxi womöglich noch stärker gezeigt als üblich, es gehört das Senken des Kopfes dazu, eine Kopfhaltung fast, wie wenn sie sich schämte oder genierte oder auch, wie wenn sie nur so täte aus Furcht, man könne ihre Gedanken, ihre Innenwelt sonst zu leicht erkennen, ihre Verliebtheit, ihr Schuldgefühl? ich weiß nicht was.
    Abgeführt wurden wir beide, ein jedes in diesem randvollen Bewußtsein, daß es jetzt auseinandergeht.
    Â 
    Und nun ist alles vorbei und wie nie gewesen, wer kann behaupten, beweisen, daß etwas war, »les miracles n'ont lieu qu'une fois«. Da ist keine Stimme am Telephon mehr zu erreichen, die mir sagt, wie sie es nicht mehr aushält, wie sie leidet, wie ihr zumute ist. Wie sie sich freut, wie sie wartet.
Diese ungeduldig und dann hell erlöst tönende Stimme, die dann sagt »Häng noch nicht auf«. Nicht mehr. Die mir Unruhe auf den Weg gibt, wenn ich die Kabine verlasse. Da ist dieses Ziel des Denkens, Hindenkens, Bangens, aber auch der Vergewisserung nicht mehr. Der Faden durchschnitten, die Hoffnung weg. Die Hoffnung auf diese Strömung der Liebe, dieses Bad.
    Â 
    Â»Aber das ist nicht Liebe«, ruft Jeannine aus, ganz dezidiert und ein bißchen keck-schrill (vor Überzeugung), »Liebe – da ist man glücklich, überschwenglich, trunken vor Glück … Aber Sie sind traurig und tiefunglücklich, das sieht ein jeder. Nein, das ist etwas anderes, jedenfalls nicht Liebe. Nehmen Sie ein großes weißes Blatt. Nehmen Sie einen schwarzen Stift. Machen Sie einen großen Strich schräg übers Blatt, übers ganze (Blatt). Fini. Aus. Aus mit der Geschichte. Sie können Odile auch schreiben: Es ist aus. Und dann unterdrücken Sie hinfort jeden Gedanken an sie. Aus. Sie sind doch ein Mann. Sie müssen den Willen aufbringen können. So. Und fertig. Und nicht mehr an all das denken. Das kostet Anstrengung, gut. Aber das geht. Also ich will Ihnen nun etwas sagen. Wenn Sie so weitermachen, dann will ich Sie nicht mehr sehen. Dann haben Sie Jeannine zum letzten Mal gesehen. Dann haben Sie alles verloren, die Kinder, Walter, Marianne, Jeannine, alles. Ist es Ihnen so viel wert, was? Erwachen Sie, Paul.« Voilà. Solche Ermahnungen.
    Ja, Jeannine, die Freundin meiner Tante, hat ja recht. Seit dem Beginn dieser Geschichte ist es jedermann klar, daß es nicht Liebe sei. Oder nicht die richtige. Was dann? Eine Krankheit, ja, dies sicher. Etwas, das man möglichst schnell hinter sich bringen sollte. Auch Odile schreibt und spricht ja immer in diesem Sinne. »Il faut s'oublier.« Sagt sie. Oder

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