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Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Titel: Die Belagerung der Welt - Romanjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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merkwürdig kalt und seelisch entheimatet. Was ist los? Ausgelöst war es durch einen Streit mit Marianne … Abendliche Rückkehr per Bahn von Bracciano, im Nebenabteil zwei mich nervende amerikanische Girls im Schulalter, die andauernd von einer Party quatschten. In Roma Ostiense ausgestiegen. Dann per U-Bahn nach Rom reingefahren bis zur Via Nazionale und zu Fuß durch die Via delle Quattro Fontane runter zur Piazza Barberini. Marianne immer etwas hinter mir. Ein klein wenig Gezänk wegen meines Tempos. Ich: »Ich kann ja versuchen, immer einen Schritt rückwärts zu gehen oder gar auf der Stelle zu treten …« Eine böse Bemerkung. Ich befand mich in einem der Romstadt dargebrachten Gefühlsüberschwang von totaler Hingabebereitschaft und Fremdbleibensnot, in einem eigensten Fegefeuer. Meine Füße wußten und kannten noch alles, was da je war, nur ich nicht mehr. Das war nicht zu teilen, und an der Erkenntnis des Nichtteilenkönnens ermaß sich die Fremde auch zwischen uns, und im Grunde ist es der Schmerz um diese Einsicht, die mich in die Aggression trieb. Unsere zänkische Diskussion warf den Graben der Fremdheit auf. Seitdem bin ich irgendwie kalt und gefühllos geblieben und untergründig konstant aggressiv.
    Jetzt ist das Jahr um, und, so schön oder auch: glorios es begonnen hat, mit der Reise nach Bremen eben, zur Entgegen
nahme des Preises (für Stolz ), so langweilig, fad, ja ein bißchen trostlos endet es. Nach Rom habe ich mich bis jetzt nicht aufgefangen. Erstens andauernd durch Ischias oder Bandscheibe oder Hexenschuß behindert und dies trotz schon fast zweimonatiger Behandlung, ferner untätig und mißmutig, drittens diese Kälte oder Abgelöschtheit seit Rom. Oder handelt es sich einmal mehr um Einstiegsschwierigkeiten? Der neue Roman! Oder ist eine noch radikalere Umschichtung, Lebensumschichtung im Gange?
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    Gestern mit Handke in der Banlieue spaziert, immer über Bahndurchstichen, Vorstadtlandschaft, kleine Häuser aus Backstein, fast ein wenig englisch, an gußsteinernen laubfleckigen Geländern entlang, in einem widerlich kalten Licht, am Boden stellenweise ein lächerlicher Schneebesatz … Meudon, wo Céline seine letzten Jahre verbracht hat. In Meudon Handkes Tochter von einer Schule abgeholt, dann per Zug nach Clamart zurück, wo er ein Haus (gehört einem Mathematikprofessor, der zur Zeit in Afrika ist) ohne jede eigene Möblierung oder Akzentsetzung bewohnt. Handke, wenn er erscheint, hat etwas, das sogleich intensive »Anwesenheit« vermittelt. Und etwas heimlich Hitziges, eine Haut, die erröten kann. Sehr genau umrissen, Allein-Person, aber nicht gehemmt, vielmehr aus längerem Schweigen heraus plötzlich ganz normal kommunizierend. Natürlich ein Star oder doch vom Ruhm gezeichnet. Fast komisch, wie man in beinah schon Maxims-ähnlichen Lokalen mit ihm speist, Geld spielt scheinbar keine Rolle mehr. Eine selbstverständliche Erwartung, vom Kellner VIP -Aufmerksamkeit zu genießen. Und neben alldem das Scheue, sehr Straffe, Profilierte, Schweigsame, intensiv Nachdenkliche, Jünglingshafte. Ich komme mir leicht gehemmt vor im Sinne des Nichtstören-Wollens. Die Ausstrahlung ist jedenfalls stark, weiß noch
nicht recht wie sehr sympathisch. Vermutlich irritiert ihn ein wenig das Bewußtsein, bereits öffentliche Person, wenn nicht eine Art geistiger Leader, also etwas schon fast Historisches zu sein? Eine Bemerkung, die immer wiederkehrt, betrifft »Sätze, die hart oder endgültig sind, nicht mehr besser zu schreiben …«. So im Urteil über Ludwig Hohl, bei früherer Gelegenheit auch bezüglich meines Stolz . Und die Sätze beim neuesten Thomas Bernhard nennt er zügellos oder beliebig laufend. Offenbar notiert er auch immer derlei »Sätze«, dies im Gegensatz zu mir, der ich notierenderweise mich gehen lasse, die »Sätze«, das Machen aber genauestens kenne, wenn ich dichte.
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    Wir warten auf das Taxi, unten beim Empfang im Hotel, es ist sehr früh, vor Tag ist's, wir haben uns wecken lassen, um ja die Züge nicht zu verpassen, den meinen, der zuerst abgeht in Richtung Zürich, und den ihren nach London.
    Wir warten, mein Koffer, ihre Reisetasche uns zu Füßen unterhalb der Schranke bei der Rezeption; und in der Nacht hatten wir uns ohne zu schlafen geliebt, durchgeliebt hatten wir uns. Odile

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