Die Belagerung der Welt - Romanjahre
breit alle Bureaux Tabac geschlossen haben, dieses Café ergreift mich, wie übrigens die meisten, tief, jedesmal, es liegt an der Menschlichkeit drinnen, natürlich auch am Rahmen, der Rahmen ist immer ausgesucht schön, aber drinnen der mit dem überdimensionierten Schnauzbart und die liebe Alte am Tabakstand und das Paar mit dem Kinderwagen und wieder die Leute aus dem Viertel, die bei sich sind.
Â
Â
Heut morgen um sechs Uhr die Stadt von Sacré-CÅur aus begrüÃt, angebetet, es war kalt und nächtlich, wir kamen vom Flohmarkt in Montreuil zurück, ganz wenig Leute, die durch die StraÃen schlichen, zwei Polizisten, die mit einem Funkgerät Schabernack trieben, ein verlorener Hund, Irish Setter, irrte herum, stellte sich in Angstdistanz auf und heulte, weinte, eine Hündin. Die Stadt in dieser Nachtmahrillumination, in einem vagen Dunst mit Glutkernen, in einem Glast, das Häusermeer mit den Wahrzeichen, in einem Urknäuelzustand, und wir von dieser Empore von Sacré-CÅur aus begrüÃten die Schöne, Nächtliche. Danach im Café bei der Mairie gefrühstückt, heiÃe Croissants, während andere schon ihren kleinen Rosé, ihr Bier, ja einen Cognac kippten. Und ein Schuljunge flipperte bereits, aber die StraÃen waren noch in diesem abweisenden abwesenden Ausnahmezustand vor Anbruch des Tages.
Â
Â
Ich möchte die Atmosphäre der Pariser AbendstraÃen einfangen können, dieses ganz und gar zauberische intime Leben. Und warum? Warum genügt es mir nicht, einfach mit- und dahinzuleben, die Stadt zu erleben? Es ist wie in der Liebe. Wenn das Herz übergeht vor Zärtlichkeit, innerer Huldigung, Ãberschwang ⦠dann möchte man resümieren können, man möchte das Erlebte wiederaufleben lassen können; man kann es fast selber nicht glauben; aus Ungläubigkeit unter anderem denkt man zurück und möchte alles noch einmal vor sich hin beten, es ist sonst wie nicht gehabt. Und dabei merkt man, daà sozusagen nichts zu halten ist, das Leben ist kein Besitz. Leerausgehen in der Fülle.
Ich denke an die ÃuÃerung des Helden in Hemingways »Schnee auf dem Kilimandscharo«; da liegt einer angesichts des Todes, ein Schriftsteller, und denkt daran, was er immer
hätte schreiben mögen und immer unterlieÃ. Es sind Sachen wie das Gurgeln des Wassers im Rinnstein Place de Contrescarpe, es sind Elemente eines atmosphärischen Ganzen, kleine Elemente, die eine Existenz ausmachten, damals als man jung war. Und man wird es nie können, es sei denn man schmuggle etwas davon ein in eine Erzählung, die von ganz anderem handelt. Dieser kleine Exkurs gilt meinem eigentlichen fast pubertären Verlangen, mir hier in Paris etwas so Banales klar machen zu wollen, wie denn die StraÃe, ein Café, eine Pariser Bar beschaffen sei und woher mein Glücksgefühl rühre.
Die Bars gehören zur StraÃe, sie sind ja auch unter Markisen aufs Trottoir hinaus bestuhlt, und sie sind gläsern eingeschalt, so daà die Theke mit dem oft rundlaufenden Zinktresen und der runden oder girlandenförmigen Neonleuchte wie ein Riesenfenster ebenerdig auf die StraÃe geht. Die Stimmung in diesem unfehlbar sehnsüchtig stimmenden Fensterraum ist farblich ein Gemisch aus illuminiertem Crème und Schwarz, und immer ist da auch Rot, ein hitziges Rot, das von Leuchtschriften kommen mag, und das alles â mit den Stehenden am Tresen â wirkt dermaÃen animierend, daà man eintreten will wie in das einzige erwärmte Zimmer in der weiten Nacht. Nun, und zur StraÃe gehört der Mann mit der Baguette in der Hand, gehört das übers Trottoir spazierende Pariserbrot, gehört irgendwer in einem Schlafrock, gehört einer mit wunden FüÃen, gehören die Frauen, gehört diese Intimität, als wäre man nicht drauÃen, sondern im tiefsten Inneren des Serail.
Â
Â
Frisch lädt dich ein zum Essen, er wählt den Wein, es soll ein bescheidener Landwein sein, ein Hallauer, weil er nicht mit Geld prunken will, weil er sich schämt? vor seinem Gelderfolg? und weil man ja damals zu seinen Zeiten, als al
les noch schwer war, auch nicht den teuersten kaufen konnte. Damals fuhr Frisch Velo und nicht Auto wie wir alle heute so selbstverständlich, damals trug Frisch immer Veloklammern, er ist auf diesem Foto mit Brecht mit Veloklammern abgebildet, auf diesem Bild, wo er
Weitere Kostenlose Bücher