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Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Titel: Die Belagerung der Welt - Romanjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Wasserschaden im Schwange. Das Wasser strömt teils durch die Holzböden der darunter Wohnenden, das Parkett wirft Wellen, einer meinte, er könne seinen Kühlschrank nicht mehr öffnen, weil das Holz sich aufwirft, auch hieß es, manche Mieter waschen sich in den Schüsseln der Klos, in den Abtritten. Ich erfuhr es bei einer der Wohnungsbesitzerversammlungen, die die Reparaturen beschließen, den Unterhalt des Hauses, und da erfuhr ich auch, daß eben verschiedene Besitzer seit langem keine dieser Kostenanteile mehr bezahlt haben, daß sie zu vielen Tausenden von Francs Schulden haben, und die Schulden werden den anderen Mitbesitzern aufgehalst, da ist dann zu wenig Geld und Interesse (seitens der braven anderswo lebenden Wohnungsbesitzer) zum Weiterinvestieren,
darum gehen die allernötigsten Reparatur- und Instandhaltungsarbeiten nicht weiter, wie es in unserem Hause der Fall ist, und darum ertrinkt man schließlich in Scheiße.
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    Der Einbruch ist an der Tagesordnung. Alle drei Minuten ein Einbruchdiebstahl in Paris. Üblich ist es, bei Abwesenheit einen 500-Francs-Schein bereit zu legen mit einem Brief: »Lieber Einbrecher, bitte bedienen Sie sich, im Eisschrank wartet Ihrer eine Flasche Champagner, aber bitte sehen Sie von Vandalismus ab, bitte, Vandalismus, wenn möglich, vermeiden, herzlich Ihr …«
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    Bages; und gestern waren wir in Nîmes, vorher in Montpellier und am Abend beim Pont du Gard.
    Letzteres ist der gewaltige Aquädukt, der das Wasser von Nîmes nach Arles leitete (in Römerzeiten). Es war ein schöner mildsonniger Abend, und der quadergefügte Aquaedukt führt hoch in den Lüften über den Fluß, eben den Gard , unten die rohen Bogen, der rohgefügte lebendige, in seinen Fugen atmende lange lange Bogenschritt, darunter in einer Art Blendgalerie die Wasserrinne; aber oben ist es eine in die Lüfte gebaute Römerstraße, sie ist recht breit, doch wenn man darauf steht, hat man das Gefühl, heruntergeweht zu werden, die Möglichkeit besteht bei Schirokko oder Tramontana oder wie er hier heißt, es ist das Hohe Seil , ich hatte mehr Angst, als vermutet, ich stand da oben und sah über den Fluß und die buschigen Hügel und die fernere Hügellandschaft, alles im Spätsommerabendglanz der Provence, mich erfaßte Schwindel und Grauen wie im Traume, wenn man sich verstiegen hat, ich machte nach den zwei ersten keinen weiteren Schritt mehr, sondern stieg sofort wieder hinunter.
    Der Morgen hatte in Montpellier begonnen, aber jetzt muß ich noch hinzufügen, daß diese heile Römerstraße in hohen Lüften von Dohlen umflogen und umsungen ist, der Dohlenlaut ist wie der Schrei der Ratte oder auch der Möwe, ein leicht weinerlicher Kinderlaut, sehr hoch, aber kein Wimmern. Meine Lieblingsvögel waren da; und heute früh, als ich aufs Dach des Hauses stieg, flogen ein Paar Riesenvögel in diesem ewig seufzenden Wind heran und über mich hinweg, Raubvögel, die sich kaum zu halten wußten im Wind (oder es schien nur so), der Wind ist natürlich der Mistral , und die Vögel legten sich in diese Windflut, ließen sich abdriften, dann suchten sie sich wieder einzuhängen, mit Flatterbewegungen, die schon fast Klimmzügen glichen, es wird für sie ein Vergnügen gewesen sein, denke ich, zwei flogen nah und niedrig über mich hinweg, weiß nicht, warum mich diese Himmelsfreiheit mit eisiger Lust erreicht und erfüllt, früher war das nicht so, ich mochte das Physische der Vögel nicht, aber das Himmlische ist für mich jetzt wie eine Droge, etwas mich Umstülpendes, ein Glück (oder Glücksempfinden).
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    Ich suchte mit meiner Dichtung das Wunder des Lebens aus dem Stein zu schlagen.
    Ich dachte immer, daß das Leben wie von unbegabten Schauspielern in unannehmbarer Verkleinerung und Vergemeinerung »gespielt« werde, ich dachte, das ist ja Unwirklichkeit, die spielen ja eine Minimalausgabe und die verfälschteste Version von dem Stück, das darf doch nicht sein; es ist Unwirklichkeit , dachte ich, weil ich es nicht wahrhaben wollte.
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    Sind wir vielleicht die Würmer, die die Erde lockern, die harte harte Masse von Erde? Lockern mit unserer Sehnsucht nach einem anderem Leben, die uns antreibt?
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    Neulich glitt der Name Stella Maris vorbei, wohl in einer Buchzeile, und ich erinnerte mich eines so benannten

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