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Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Titel: Die Belagerung der Welt - Romanjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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unendlichen Himmel in der gefahrenumstellten Wildnis eben anderes vorrangig war als der Minnedienst und weil die Frau Mangelware war, sowohl Lady wie Zuchtobjekt, Arbeitskraft, es war eine Männerwelt und ist es wohl geblieben. Trotzdem muß im Anfang hinter all dem etwas Großartiges gestanden haben, vor allem etwas Freiheitliches, und das Wilde unterlag einem langen und hart umkämpften Zivilisierungs- und Kultivierungsprozeß, man muß an Emerson denken, an Whitman …
    Und wenn ich an einem Tag wie gestern Samstag, wo wahre Menschenfluten in Grün , irischstämmige Amerikaner, den St. Patricks-Day feierten – es soll in USA deren 40 Millionen geben im Verhältnis zu den mageren sechs Millionen im alten Irland –, wenn ich an einem Tag wie gestern die außer Rand und Band geratenen Massen mit ihrem verrückten rückwärtsgewandten Identifikationstick oder eben Lokalpatriotismus anschaue und darunter die Frauen, dann kann ich wahrhaftig die Erotik vergessen. In allen Jubellokalen und Bars, die ein wenig an irische Pubs, aber auch an holländische Kneipen erinnern, aber eben mit dem typisch ameri
kanischen technischen Aspekt gekoppelt, einem besonderen Komfort, fallen die zu wahren Pin-up-Girls aufgemöbelten Hostessen auf? Diese Nackedeis sind kalt wie frisch aus dem Eiskasten oder wie reines Plastik. Es liegt hierzulande nirgends Eros in der Luft. Muß übrigens unbedingt Millers Klimatisierten Alptraum lesen, sowohl als Reisebuch quer durch die Staaten, als moderne »Bestandsaufnahme« wie als Kritik der amerikanischen Mentalität und Gesellschaft.
    Les choses de la vie, habe ich schon im Flugzeug gedacht, wo dich die Hostessen ungeniert anfassen, ermutigend deinen Arm drücken, kameradschaftlich, ist nicht des Amerikaners Sache. Man lebt unbehaust, im komfortablen Schlitten, im falschen Moralismus, in der Motorik, terrorisiert durch einen Konformismus, der ebenso stark sein muß wie in den totalitären Staaten. Die Amis werden sich im Weltraum prima zurechtfinden, in der supertechnischen Abkapselung im Leeren. Hier kannst du ja auch nicht flanieren, planlos schlendern, die Augen füttern, die Sachen anfassen und streicheln, genießen . Was schön ist: all dasjenige, das unter technischem praktischem Komfort zu subsumieren wäre: Ausstattung, Leuchtschriften, sanitäre Anlagen, Verpackung allgemein, Lettern, Banknoten, Uniformen, Dekor .
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    Es war eine Art Blockhaus, am See. Der Mann wirkte auf mich wie ein Gefangener, war er das? Ein Künstler, Kunstmaler, großer Gestenschmierer, so viel ich sah, mit Schmierer meine ich nichts Herabwürdigendes, sondern peinture de gestes, er hatte Talent und mehr als das, aber das Wort Schmierer ist trotzdem nicht von ungefähr in den Satz gerutscht, er hatte etwas von einem Schmierenkomödianten, wie er so mitten im Gespräch von seinem Sitz aufsprang, nach einem armlangen Pinsel griff und in ausfallender Grätsch
stellung, ein Fechter, ein Tüpfelchen im fleischigen Farbgewebe seines Bilds anbrachte, wonach er laut aufatmend, aufschnaufend wieder Platz nahm. Was soll die Show, dachte ich, was will er beweisen? Dann sprachen wir wieder in normalem Tonfall von irgendetwas, ganz manierlich. Er irritierte mich. Er hatte etwas verhalten Wildes, ja Rohes an sich, mittlere Statur, sehnig, kernig, sowohl jungen- wie ganovenhaft war der erste Eindruck, doch es störte das verwüstete Gebiß, er hatte das Gebiß eines Häftlings, ein Verschickter? Ich sprach von Blockhaus, falsch! es war wohl eine ehemalige Fischerhütte, so etwas, möglicherweise ein umgebautes Bootshaus, es war nett eingerichtet, Küche und Dusche, alles was man braucht, war da, ja, und Wein gab's und Wurst und Käse, und wir kamen ins Gespräch, und ich erfuhr, daß er ein Ostdeutscher sei, Flüchtling, war Soldat, Kriegsteilnehmer, und war mausarm in die westliche Welt entkommen. Und irgendwo in diesem Paradies der freien Welt hatte er, im Rausch der neugefundenen Freiheit eine junge Frau kennengelernt, ebenfalls Malerin und keine schlechte, jedoch Tochter aus bestem und vermögendem Schweizer Haus, wenn nicht Sproß der High-Society; die Sache ging schnell, es war eine Liebesgeschichte und für die Frau noch anderes als das, nämlich ein Ausbruch aus ihrer Gesellschaftsschicht, kurzum, sie hatte diesen leicht verkommenen Kerl und halbwegs Wilden gleich mit nach Hause genommen und

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