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Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Titel: Die Belagerung der Welt - Romanjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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ging und einen zweiten Eingang zur Wohnung bildete; in diesem mit jeder Menge Kram angefüllten Nebenraum stand ein vorsintflutlicher Eisschrank, der mit ganzen Eisbarren gefüttert werden mußte, großen kantigen Barren, die von Bierbrauereien geliefert wurden. Ich erinnere mich der Männer mit dem Lederschutz, der Zulieferer. Die Küche in Betrieb war nicht zu betreten, jedenfalls für uns Kinder nicht, sie
war ein Schauplatz des Kampfes, Hölle und Heizraum, ich frage mich, wo der ansehnlich große Hund Bobby Platz fand, der, schon der Pensionäre wegen, auch hier gehalten und eingeschlossen blieb. Erst wenn die Herren und Damen Pensionäre im Speisesaal getafelt hatten, fand sich die Familie um den Küchentisch zur privaten Mahlzeit ein, danach das Dienstmädchen und der Hausbursche. Und der Hund. Erst da verzog sich der Dampf allmählich, und es trat eine Art Ruhe ein, ein Aufatmen, die Stille der Erschöpfung.
    Natürlich war unser Leben interessant, vor allem aus der Distanz gesehen, aus der Distanz des Rückblickenden und im Vergleich mit dem Normaldasein der unzähligen mittelmäßigen Verhältnisse, zu welchen auch der Haushalt der Täuffeler Verwandten zu zählen ist. Bei uns zu Hause gab es Stimmung, nur zuviel, aber es gab keine klaren Verhältnisse, vor allem herrschte keine nüchterne Sicht auf die Dinge.
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    Lese in Billeters Schrift Das Dichterische bei Kafka und Kierkegaard : »Das Dichtergenie – so behauptet Kierkegaard – führt ein Leben in unberechtigtem Genuß, indem es egoistisch an nichts anderes denkt als an die Entfaltung des eigenen Talents. Es wähnt sich als ›Ausnahme‹ und kümmert sich nicht um das ›Allgemeine‹, um das schlicht Menschliche, um das positive Leben in der Pflicht, so daß es mit der Instanz des Ethischen, die das Allgemeine fordert und stützt, in Streit kommt. Aber nicht nur ethisch, auch religiös gesehen darf das Genie keine Ausnahmerechte in Anspruch nehmen: auch vor der Ewigkeit schwinden alle ›menschlichen Differenzen zwischen Mensch und Mensch‹, d. h. der mit genialen Gaben Ausgezeichnete gilt Gott gleichviel wie der geistig Geringe.
    Auch Kafka hält den ›Selbstgenuß‹ des Dichters für Egois
mus, der ein tätig-erfüllendes, ein ethisches Leben verhindert, und doch muß er anderseits seinen Dichteregoismus als für sich lebensnotwendig erkennen. ›Ich habe inzwischen, nachdem ich durch Wahnsinnszeiten gepeitscht worden bin, zu schreiben angefangen und dieses Schreiben ist in einer für jeden Menschen um mich grausamsten (unerhört grausamen, davon rede ich gar nicht) Weise das Wichtigste auf Erden, wie etwa einem Irrsinigen sein Wahn (wenn er ihn verlieren würde, würde er, irrsinnig werden) oder wie einer Frau ihre Schwangerschaft.‹«
    Weiter Kafka: Und das Teuflische daran scheint mir klar. Es ist die Eitelkeit und Genußsucht, die immerfort um die eigene oder auch um eine fremde Gestalt – die Bewegung vervielfältigt sich dann, es wird ein Sonnensystem der Eitelkeit – schwirrt und sie genießt. Was der naive Mensch sich manchmal wünscht: ›Ich wollte sterben und sehn, wie man mich beweint‹, das verwirklicht ein solcher Schriftsteller fortwährend. Damit meine ich nicht, daß zum Leben Weib und Kind und Feld und Vieh nötig sind. Nötig zum Leben ist nur, auf Selbstgenuß zu verzichten; einziehn in das Haus, statt es zu bewundern und zu bekränzen. Dagegen könnte man sagen, daß dies Schicksal ist und in niemandes Hand gegeben. Aber warum hat man dann Reue, warum hört die Reue nicht auf? Um sich schöner und schmackhafter zu machen? Auch das. Aber warum bleibt darüber hinaus das Schlußwort in solchen Nächten immer: Ich könnte leben und lebe nicht.
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    Die Gebäude der Washington University sind Cambridge nachgebaut, dieser Verweis sollte genügen, und ich befinde mich in einem dieser neogotischen Häuser in einem mir zugeordneten Büro, Samstagmittag, und tippe diese Zeilen, um ein bißchen etwas festzumachen, wo alles um mich her
schwimmt vor neuen Eindrücken und schöner Fremde. Hier ist Frühling, ich schritt durch den Forest Park – stundenlang, weil ich mich verlief – heimzu, in der Luft Düfte des Vorfrühlings, im Gras zweifarbige Amseln (?) und viele Stare, einige Bäume

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