Die Belagerung der Welt - Romanjahre
in Zürich, allein. Sie schien erleichtert, hatte immer noch etwas von
der einfachen Würde, die sie beim letzten Mal bewiesen hatte, doch auch wieder etwas leicht Snobistisches, sie schien im Begriff, in den alten Umrià zurückzufallen. Die Neuigkeit bestand darin, daà sie geschieden sei. Ihr Mann sei eine unzumutbare Belastung geworden, sie sei der Kinder wegen zurückgekehrt und, vorläufig wenigstens, wieder zu Hause, wenn auch bloà in einem ihr aus groÃmütterlichem Erbe zugefallenen kleinen Haus. Sie sprach von der Drogensucht ihres Mannes, von einem delirierenden AuÃersichgeratensein. Er bringt sich um, sagte sie. Er hat sich umgebracht, tönte es in meinen Ohren. Ich dachte an die kurze Bemerkung des Malers: Er sei am Ort seiner Bestimmung angekommen, das habe er gleich gewuÃt. Seine Bestimmung war die Einswerdung im Sterben oder die Ichwerdung im Untergang. Wenigstens hat er dieses mystische Gefühl kennengelernt, dachte ich damals, sowohl erschrocken wie von leichtem Neid berührt.
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Auf der Fahrt nach Hannibal, nach Mark-Twain-Land, bestaunte ich den breiten weinfarbenen Mississippi mit seinen Inseln und Verlandungen und Nebenflüssen ohne Getier, doch in langen Intervallen waren Schlepper, Schleppkähne zu sehen. Die Brücken, Eisenkonstruktionen, spannten sich wie Wildtiergehege über das Wasser, wahre Laufgitter, herrliche Silhouetten. In Illinois auf der Rückfahrt endlich etwas von Landwirtschaft. Hunderte von freilaufenden Schweinen, Sauen mit Ferkeln, glattrosiggraue Leiber mit Schnüffelnasen und Wedelschwänzchen, wandelnde Pilze in der aufgerührten Erde, die zu den Wasserfässern liefen, wenn sie sich nicht suhlten oder wenn sie nicht wühlten. Auch Braunvieh, zottelhaarige Rasse. Und die Häuser, vor allem auch in den Ortschaften, die wir durchfuhren, waren winzigklein, eine Art Kartenhäuschen, zerbrechliche Holzkonstruktio
nen mit der obligaten Veranda, aber alles zum Zusammenstürzen leicht, in schönen Farben, z.âB. Grün gegen Grau, apart. Derlei »Architektur« in der GröÃenordnung von Zweizimmerwohnungen, spielzeugleicht, dazu die Giganten von Landwirtschaftsmaschinen oder auch nur Autos. Komisches Verhältnis zwischen Wohnen und Rollen, Siedeln und Herumziehen, Kultur und Technologie. Herrlich gemalte Schriften, das Reklamewesen knalligschön überall. Woher aber kommt diese Kartenhausästhetik? Der Wind kann dieses Wohnen wegblasen. Nomadenmentalität? Es muà ganz schön zugig sein im Innern dieser â nun, schön geschnittenen und manchmal ziselierten bemalten Baracken. Bei uns käme zum Vergleich das Schrebergartenhaus in Betracht.
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Der Kellner in der »Bar Italia«, meinem Stammlokal in St. Louis, hat den Ruf des french lover. Er hat etwas Unruhig-Witterndes, Heimlich-Verwildertes hinter schlau-freundlichem Lächeln. Ihn hat es hierher verschlagen, scheint es und heiÃt es, der Anlaà herzukommen war ein Freundesbesuch, und dann ist er hängengeblieben und ist ein Frauenjäger geworden, ein Getriebener. Dachte immer, was mit ihm los sei. Ich finde, daà er wie ein aus dem Warschauer Ghetto Entkommener aussieht, ebenso entschlossen und verzweifelt, und irgendwie mit angefressenem schwarzem Haar. Ein Weiberfreibeuter. Er hängt in den Bars und Jazzlokalen herum und reiÃt Amerikanerinnen auf, die er auf europäische Art umwirbt, mit Komplimenten traktiert und mit Geigentönen behext. Dabei hat er eine verrückte Liebesgeschichte mit einer jungen überaus schönen, im LiebesbewuÃtsein anscheinend reifen Amerikanerin aus Boston und bester Familie, die ihn um eine Wartezeit, Bedenkzeit von sechs Monaten bat, und wenn sie ja sagen sollte, würde er alles lassen und nur diesem Glück leben, wie er sagt, am lieb
sten aufs Land ziehen, sich abkapseln mit seinem Glück und seiner Beute. Sie liebe ihn, er sei sich ihrer Gefühle, ihrer ernsthaften Absichten sicher, sie seien einander so gut wie versprochen, sagt er. Und in der Zwischenzeit jagt er Frauen, um das Loch der Erwartung, des Bangens zu füllen und zuzudecken mit immer neuen und anderen Bettgeschichten, eine Geschichte jagt die andere, er meint, es sei erstaunlich, was sich hinter der kühlen und smarten Fassade der gepflegten Amerikanerin löse, welche Wildheit und Hingabe und Raserei frei werde im Bett. Und Schönheiten kriege er zu sehen, sagt er, eine
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