Die Belagerung der Welt - Romanjahre
entsprechend schöne Französin würde den Mann zum Sklaven machen und kriechen lassen, die Amerikanerinnen hätten demgegenüber eine wahre Unschuld. Davon und nur davon spricht er. Das Lächeln hat etwas Verschämtes, Schüchternes. Doch ist es auch ein Triumphlächeln. Er trumpft jedenfalls nicht mit Machismus auf, mit Protzermännlichkeit, ich denke, er will geliebt werden, kann nicht genügend Beweise kriegen, nie genug davon. Sagt, er sei in Frankreich, Sohn eines polnischen Grubenarbeiters oder Steinhackers, eines brutalen harten Kerls, und einer gleichgültigen Mutter, am Arsch der Welt aufgewachsen, mit 15 oder 16 erstmals ein Kino gesehen oder ein Buch berührt, dann abgehauen (nach einem Aufenthalt in einem Knabenpensionat), ein wölfisches Lächeln, und mit 18 Jahren nach Paris, und der fürchterlich gestaute Lebenshunger brach aus und richtete sich auf die Frauen. Ich wurde erst hellhörig, als er nebenbei meinte, er falle immer auf Mädchen, die ähnlich entwurzelt seien wie er, entwurzelt, déraciné, sagte er, und erzählte die Geschichte einer französischen Geliebten, die unwahrscheinlich kriminalromanlike tönte, mit Inzesthintergrund und Drogenvordergrund und rasantem Zerfall. Und auch die letzte Amerikanerin, letzte Eroberung, eine Krankenschwester aus der Entbindungsabteilung eines Spitals, hat eine verrückte Lebensgeschichte
und Herkunft, mit einer Mutter, die die Kinder halsüberkopf an der Hand eines Geliebten verlieÃ. Und als der Mann dahinterkam, reiste er der Untreuen nach und erschoà den Rivalen und ging ins Gefängnis und so fort, bis das Kind sich auffing und Krankenschwester wurde und aussah wie eine normale kühle super aufgemachte Amerikanerin und eines Tages in der »Bar Italia« zum Essen ging und unseren Servierer oder eben hinter der Theke beschäftigten Freund ansprach und sich anbot, ihn im Wagen heimzufahren. Und mit fliegenden Fahnen in sein Bett, wunderbar. Was mich aber interessiert und berührt, ist der Sachverhalt seiner Liebeshörigkeit Richtung Boston und daà er trotzdem oder deswegen so wild herumhurt, klar: Er würde im Schacht des Bangens verschwinden, hätte er nicht dieses unentwegte Gewiegtwerden in weichen weiÃen Armen, und zwar zur Erträglichmachung des Wartens, zur Ãberwindung der Angst. So stelle ich mir ein wenig den jungen Céline vor oder den Helden aus der Reise ans Ende der Nacht im Abschnitt Detroit, als er in einer Autofabrik und daneben in einem Bordell als french lover, das heiÃt Liebestrainer, arbeitet und dann von einer milden Amerikanerin nicht nur geliebt, sondern ernährt und gekleidet und ausgehalten wird und dennoch eines Tages abhaut und hinterher bereut, weil er, ein Schuft, fühlt, daà er da wirklich der Liebe begegnet war und sie miÃachtete und wegwarf.
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Ich bin in Deckung mit dem verdammten Buch [ Im Bauch des Wals ], das leider meist weder flieÃt noch flutet, sondern eher hupft und springt und dann wieder sich verkriecht und verschweigt, es ist eine vertrackte Schachpartie. Es ist eben etwas Neues, kein Prêt-à -porter.
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Heute früh die Nachricht, daà Mutter in Bern gestorben ist, dieselbe Nacht, während ich mit Horst tafelte, setzte ihre Seele zum Flug an; sie hat diese Welt verlassen. Sie entschlief. Schwester untröstlich, aufgeregt, aggressiv, macht sich Vorwürfe, den Tag nicht im Heim gewesen zu sein, die Sterbende allein gelassen zu haben. Werde nun hinfahren, um das Beerdigen in die Wege zu leiten, dieses Liquidieren und Abmelden.
Weià nicht, was das Fehlen von Mutter bewirken wird. Ich sehe nur immer die aneinanderstoÃenden Fremdheiten. Hol über, schreit es vergebens. Das Häufchen Mütterchen wird der Erde übergeben.
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Das Maienlaub schimmerte auf dem SchoÃhaldenfriedhof, Vormittag. Zwei Männer wie falsche Schauspieler, wie Ersatzleute, der eine klobig groÃ, der andere ein schmaler Wurf, schoben den Sarg in der Kapelle auf ein Wägelchen mit Deichsel und Elektromotor, eine Art Postzustellkarren; und so beförderten sie Mutter im Sarg durch die Allee; und wir hinterher zum Grab. Und das Maienlaub und der Vogelgesang. Und wir unter den vielen schäumenden Bäumen. Albisetti war da und Walter Hunziker und der Schulfreund »Blasius« und die Kusinen und Vettern und Bekannte aus dem Kreis meiner Schwester und Valentin und Tamara. Und Herr
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