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Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Titel: Die Belagerung der Welt - Romanjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Das Dorf hatte keinen richtigen Kern, es gab ein zwei Wirtshäuser und wohl auch einen Kramladen, ich erinnere mich nicht daran, ich sehe, wenn ich zurückdenke, die unbelebte Dorfstraße, aber an dieser Straße Onkels Haus, ein modernes Einfamilienhaus mit Drogerie . Ich weiß nicht, ob ich damals die Häßlichkeit des in fadem Biskuitton gehaltenen Dutzenddings empfunden habe. Ich empfand das Reinliche, Fortschrittliche, Helle in Onkels Haushalt und Geschäft, es roch ja auch anders als sonst im Dorf, es roch nach Chemie, aber auch nach aromatischen Kräuterpulvern, die mein Onkel in seinem kleinen pharmazeutischen Betrieb verarbeitete, er war überaus tätig, unternehmungslustig, dabei breitlächelnd, am Platze eine Art Pionier, er trug den weißen Berufsmantel des Laboranten, er rieb sich schmunzelnd die Hände, immer zu Späßen aufgelegt, immer voller Energie, im Labor standen die bauchigen Korbflaschen und vielerlei Kräuterpulver, und im Laden reihten und türmten sich
die bunten Packungen der Drogeriewaren. Ein Unternehmer. In der Garage wartete der breite Amerikanerwagen, ein Straßen-Schiff. Onkel und Tante unterhielten ein aufstrebendes, gewinnbringendes Unternehmen, sie waren Besitzer der einen und einzigen Drogerie in der ganzen Gegend, sie hatten mit Täuffelen eine gute Wahl getroffen, das Geschäft florierte, sie waren wohlhabend, sie wurden allmählich reich.
    Meine Schwester und ich verbrachten manchmal die Ferien bei diesen Verwandten auf dem Lande, wir kannten die Dorfkinder, mit denen wir Völkerball spielten und Unsinn trieben, und vor allem vor dem Zubettgehen hatten wir aufregende Erlebnisse mit unseren Kusinen, für die ich furchterregende Geschichten erfand und erzählte.
    Während des Krieges gab es Interniertenlager in der näheren Umgebung, ich sah die polnischen Soldaten, die aus ihrem Lager zur Waldarbeit marschierten, einzelne arbeiteten bei Bauern. Und mit Befremden und Staunen sah ich die Nordafrikaner, die Spahis in ihren exotischen Uniformen ihre Vollblutpferde ausreiten, sie gehörten zur französischen Armee.
    Ich weiß nicht mehr viel aus dem Dorf Täuffelen, ich komme darauf zu sprechen, weil ich neulich vom Zug aus oder vom Auto aus so ein häßliches Einfamilienhaus in sonst unangetasteter Landschaft bemerkt habe, einen Vorboten kommender Landschaftszerstörung, und mir dabei dachte, daß die Besitzer vermutlich stolz sein müßten auf das in anderen Augen als Schandfleck wirkende Dutzendhäuschen, sie sehen das Praktische, die moderne Küche, das Bad, die Wasch-, die Geschirrspülmaschinen. Ich hatte als Kind bei meinen Verwandten in Ferien untergründig das Empfinden, bei Leuten zu Gast zu sein, die den technischen Fortschritt eingeführt hatten und mit ihm die Freiheit. Der Haushalt funktionierte nach rein praktischen Gesichtspunkten,
nicht nach vorzeitlichen wie bei uns zu Hause, alles war hell bei ihnen, unsentimental hell, transparent, funktionell, vor allem gab es nichts zu verstecken und nichts zu verheimlichen, es gab nicht die Last der falschen Prätention (einer in Wirklichkeit überhaupt nicht existierenden Herrschaftlichkeit) zu tragen und zu ertragen, nichts Schummriges, keine Vergrottung, nichts Geheimnisvolles. Wenn Tante unsere Mahlzeiten bereitete, geschah es in einer apparatehaft nüchternen Küche unter Zuhilfenahme zeitgemäßer praktischer Utensilien und nach vernünftigen ernährungstechnischen Gesichtspunkten.
    Bei uns in der Stadt in Großmutters Küche wurde aufwendig und reichhaltig und schmackhaft gekocht, aber um welchen Preis. Kochmutter am Herd mit hochrotem Kopf wie der Heizer auf einem Dampfschiff, die überstellte Küche in Dampfschwaden getaucht, alle Vorrichtungen, die Ablagen, selbst die Schränke wohl von diesen fettigen Dämpfen klebrig und ganz und gar durchtränkt. Die Gewürze und Zutaten in unsäglichen Behältern, überall ein Gewirr solcher Nester, eine wahre Vergrottung. Gerät und sogar Geschirr seit Menschengedenken in Gebrauch und vielfach schadhaft, der Begriff Ordnung reines Wunschdenken, ein Chaos. Von Platz keine Rede. Vorn am Fenster das Dienstmädchen Anna vor dem steinzeitlichen Spültrog, unaufhörlich mit Spülen beschäftigt, die Hände im Wasser. In dem anschließenden Office, wie wir es nannten, eigentlich war es die Speisekammer, die, wie mir eben einfällt, aufs Treppenhaus

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