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Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Titel: Die Belagerung der Welt - Romanjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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haben bereits zartes Grün angesetzt, an den Rändern des Parks Villen in Backsteinkonstruktion, teils mit vorgeblendeten weißen Säulen, es ist Westend, Reichtum, einige Jogger, immer wieder die fischleibigen Flugzeuge mit abgespreizten Flossen schräg in der Luft, aufsteigend, absteigend, wie aus dem Wasser schnellende Tümmler in Zeitlupe, ich verlief mich gegen Norden, weil ich keine Ahnung hatte, wo ich den Park zu verlassen hätte, kam in Negerviertel, doch schließlich erblickte ich den schönen Hochbau, der mit seiner abgetreppten Pyramidenform mir bereits aufgefallen war – Sullivan? – und konnte mich danach orientieren; fand heimzu, zum Hotel. Die Liftboys, zwei ältere herrlich ja museal uniformierte, schwarzhäutige Film-Gestalten und dann ein jüngerer gewaltiger, ein Koloß im Polohemd mit Armen wie Oberschenkel, ein gemütlicher Riese. Unweit vom Hotel sind allerlei schicke Läden, auch Kuriositäten- und Antiquitätengeschäfte nebst Boutiken und Restaurants. Bin noch nicht im Stadtinnern gewesen, noch nicht am Mississippi. Als ich in Washington einige Stunden in der Haupthalle wartend verbringen mußte, bis ich Anschluß hätte auf den Flieger nach Saint Louis/Missouri, sah ich mich erstmals (wieder) den USA gegenüber, einem ganzen Panoptikum, sogar Leute mit Texashüten waren da, es war dieses freie unbekümmerte Benehmen, eine Art Schamlosigkeit oder Unempfindlichkeit gegenüber Benehmens- und Empfindlichkeitsargumenten, eine Freiheit, die wiederum ein Konformismus oder Ausdruck eines solchen sein könnte, jedenfalls nicht Individualismus, alles ist erlaubt, weil anderswo Verbindlichkeit herrscht. Die Maid, die servierte, hatte ein Kleid, das ein Bein freigab, es war
nicht sexy, sondern Verkaufsargument, absurd, es gehörte zu einer Überlegung auf dem Niveau des Kundendienstes. Die Amerikanerinnen, denke und fürchte ich, haben bei aller Aufgemachtheit eher eine Art Sportsgeist.
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    Der Mississippi, breit und nicht sonderlich majestätisch hier, soll oben in Hannibal, wo Twain herstammt, seine volle Weite zeigen, ich werde mal hinfahren. Am Ufer zu Vergnügungslokalen umgebaute Raddampfer, Radschaufler. Das überdimensionierte Wahrzeichen, ein Stahlbogen von 160 Meter Höhe (?), selbsttragend, mit inwendigem Lift, sieht aus wie ein materialisierter Regenbogen, ein Wunder der Technik wie weiland der Eiffelturm: er symbolisiert das Tor zum Westen. Darunter ein interessantes Museum, von zwei amerikanischen Forschungsreisenden handelnd, die im Auftrag der Regierung das (von den Franzosen) frisch erworbene Land (wohl inklusive Louisiana), durchzogen und den Stand der Dinge »aufnahmen«. Man sieht alles, Flora und Fauna, den Grizzlybären, den Biber, das Langhornvieh, den wilden Büffel oder Bison, alles was damals dazugehörte, und das kleine Indianerpferd, aus dem Mustang hervorgegangen. Übrigens gab es anscheinend auf dem Kontinent vor Ankunft der Spanier keine Pferde, die amerikanische Wildpferdrasse hat sich von entlaufenen Spanier-, also wohl Araberpferden herausentwickelt, interessant: Die Indianer waren ursprünglich kein Reitervolk. Erfahre ich. Man sieht Indianerzelte aus Büffelhaut, sieht das Zubehör der Trapper und Rothäute, herrliche rührende Planwagen (Konstruktion), schönes Gerät, sieht die Soldaten und ihre Ausrüstung, einer steht auf der obersten Rampe einer Festung, ein Wachsoldat, die ganzen Wildwestfilme fallen einem ein. Stellt sich gleich auch die zugehörige Mentalität ein, die Vorstellung vom harten Trapper- und Siedlerleben,
aus dem das heutige Wertsystem sich herausgebildet hat: Es gehört dazu der Stolz des Weißen samt Verachtung der Naturvölker, ein Überlegenheitsgefühl, dann das Machertum, das hemdärmlige, alles vereinfachende, das Zupackertum, das Tatdenken, dann aber auch das Puritanische, das bis zum Verklemmten geht, unter Berufung auf die Bibel, aber es ist ein waffentragender Bibelglaube, teils eine viehische Roheit samt Verachtung der Kultur, das Faustrecht im Kampf mit dem Rechtsdenken, außerdem das Herumziehertum, ein unverzärteltes Nomadisieren – die ersten waren fahrendes Volk! –, ein Leben unter dem freien, ja unendlichen Himmel. Die Bibel gegen die Heiden, aber die von Colt und Gewehr unterstützte Bibel. Das Fehlen des Erotischen, weil – stelle ich mir vor – unter dem

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