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Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Titel: Die Belagerung der Welt - Romanjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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gerne schauspielernd vorführte, wenn er über Beziehungen sprach, verstimmte mich. Er hatte so nichts Verrücktes, er war wohl schon sehr zürcherisch und puritanisch und, wie kürzlich einer sagte, ein Patriot. Mit Montauk konnte ich nichts anfangen, gefallen hat mir Der Mensch erscheint im Holozän , deprimierend. Und jetzt erinnere ich mich, daß ich immer die größte Mühe hatte, mich zu seinen neuen Werken zu äußern, und zu reagieren hatte ich, zumal bei Büchern, die ich als gewidmetes Leseexemplar zugeschickt oder überreicht bekam. Ich konnte wohl nie begreifen, auf Grund welch großer Vorzüge er in der Welt dermaßen berühmt geworden war. Vielleicht mag ich Ironie nicht. Alle späteren Zusammenkünfte mit Frisch waren durch Künstlichkeit und Verlegenheit gekennzeichnet. Ich sehe ihn immer hinter seiner Pfeife, an der er in einer Weise zog wie andere stottern. Ich sehe ihn in Berzona beim Tischtennis, ich sehe sein Haus, das er mir einmal für einige Wochen überlassen hatte. Ich sehe das zum Arbeitsraum umgebaute kleine Stall
gebäude neben dem Haus, die Kastanien, die Büchergestelle, liederlich aufgefüllt. Den Plattenspieler und die Plattensammlung, den Weinkeller und die Kühltruhe mit den Vorräten. Der leibliche Frisch stand mir immer im Wege beim Frisch-Lesen. Der Herr sei seiner Seele gnädig. Ich schäme mich für den Mangel an Gefühlen, Zuneigung.
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    Karl Guldenschuh ist am 15. Juli gestorben. Am Vorabend hat ihn ein Freund besucht, anderntags in der Frühe fand ihn ein Besucher tot im Bett. Er hat seit Jahren nur mehr gewartet, man möchte sagen: auf dieses Stelldichein. Hustend, rauchend, trinkend. Er hatte zum Schluß eine Munchsche Geisterhaftigkeit in der Erscheinung, wenn nicht etwas von einem für den Sarg Geschminkten. Ein schöner Toter, gewiß. Sehr einsam und merkwürdig pflichtgetreu, hartnäckig in seiner Verweigerung. Seit Jahren nicht mehr gearbeitet, doch alltäglich wie zum Appell ins Atelier gewandert oder gefahren, zuletzt geschlurft . Inmitten seiner gestapelten Bilder und unberührten Arbeitsutensilien hielt er Totenwache am Grab seiner erloschenen Schöpferkraft. Zuletzt habe er auch das Atelier und dieses sinnlose, weil simulierte Zur-Arbeit-Gehen aufgegeben. Er blieb nun in der Wohnung, zusammen mit seinen Zigaretten und dem Wein, seinen Narkotika, seinem strengen Wahn.
    Die Wohnung habe ich ihm vermittelt, es war die letzte Wohnung von Marianne und damit auch meine letzte Ehestation in Zürich. Pünktlich zu meinem Geburtstag pflegte er mich anzurufen, um, durch Husten unterbrochen, die Worte: Paul, ich gratuliere zum Geburtstag, in die Leitung zu hacken. Makaber. Er liebte den Jazz und die amerikanische Literatur. Und Gauguin. Er war mit Bruno Müller befreundet oder ein künstlerisches Dioskurenpaar gewesen, zu Beginn ihrer beider Laufbahn. Beide sind jetzt tot. Wir hat
ten in New York Verbindung, als ich in einem (riesigen) Nebenraum seines Ateliers vorübergehend zu Gast war, wobei ich den schönen Guldenschuh und die schöne Marcy sowohl bewunderte wie beneidete. Sie schienen das Leben, die Liebe und das Kunstschaffen und natürlich New York zu genießen. Als Marcy den von einer Herzoperation oder genauer: von einem Rehabilitations-Kuraufenthalt Zurückkehrenden verließ, hat sie ihm den letzten Halt, alle Lebens- und Schaffenslust entzogen. Fortan begann sein makabres Warten: Er saß, rauchte und trank, wie wenn er einem Gott unentwegt Opfergaben darbringen müßte. Wenn wir zusammen waren, saßen wir uns zumeist wortlos gegenüber. Ich leistete dem Raucher und Trinker Gesellschaft, stumm. Das Rauchen und Trinken und Husten waren Hauptsache. Er wollte dabei nicht gestört sein, schätzte jedoch bis zu einem gewissen Grade meine Anwesenheit, wenn ich nicht irre.
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    Valses nobles et sentimentales
    Derlei Musik hat mich in meiner Adoleszenz – wie übrigens der Tango von Strawinsky – sehr emouviert, es war das Gebrochene oder besser das gebrochene Verhältnis zu den einst reibungslos aufgehenden Formen von Walzer und Tango, der nicht schließbare Kreis, Wollen Wünschen Versagen, der große Anfang und das leiernde Bemühen ohne ganzes Gelingen.
    Und ganz in solcher Musikstimmung fand ich mich, nachdem meine Liebesstory, die ich im Jahr der Liebe mit der Radfahrt an den Thunersee als Lara-Story

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