Die Belagerung der Welt - Romanjahre
Fassaden (mit giebelbekrönten Fenstern) abgeriegelt, auch diese Bauten sind Wohnhäuser.
Viel farbige Bevölkerung, Schwarze und Ostasiaten, auch entsprechende Restaurants. Und vom Wahlkampf übriggebliebene Plakate, die für Le Pen werben.
Die Apfelbaumspaliere nicht vergessen.
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Und vorgestern, glaube ich, gab's einen Traum mit Hold up in einem Restaurant, ich sehe die bewaffneten Terroristen eintreten und installiere mich geistesgegenwärtig flachausgestreckt unter einem Tisch, Odile mit mir ziehend, in Erwartung der SchieÃerei. Wobei mir jetzt nicht mehr recht klar ist, ob die SchieÃerei losging oder nicht. Wenn nicht, wäre mein Selbstrettungsversuch nicht nur beschämend gewesen, sondern geradezu eine Herausforderung an die Terroristen, mich, den einzigen Feigling, ins Visier zu nehmen?
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Zurück aus Tanger.
Als wir wieder daheim in Paris, France waren, fielen wir in ein Loch, ein Nichts; nichts von Wiedersehensfreude, nur Verlustgefühl und eine Art Heimweh. Und dennoch hatten wir die Tage die Stunden gezählt bis zur Abfahrt.
Wonach sehnten wir uns, da es uns gar nicht gefallen hatte? Ich hatte mir vorgestellt, wie es wäre, wenn ich dahin verbannt worden wäre, ein politischer Flüchtling zum Beispiel. Da ist dieser Trott finsterer Gesellen, manche in den braunen Kapuzenmänteln wie im Mittelalter, viele Frauen ver
schleiert, Bettler wie Aussätzige. Und immer die Kerle, die sich schmierig an einen heranmachen, ça va? und einen begleiten, eskortieren, beschnorren. Eine finstere Männergesellschaft in den Cafés, kein Gran Feminität in der Luft. Und die weiÃlichen Häuser aus Kolonialzeiten angeschmutzt und rüde, keine echte Pracht. Und auch unten am Strand und Bahnhofsgelände und am Hafen kein eigentliches Leben, nichts das schwingt und ausschwingt, wenn auch die Palmen rascheln und knattern im Wind. Und dennoch eine Luft, die einen umhalst oder an sich nimmt, mit einem Körperglück betupft.
Die Stadt ist weiÃzackig gegen diese Luft oder diesen luftigleibhaftigen Himmel geschnitten.
Die Landschaften immer unter den Hoheitszeichen der Palmen und Herden von Eseln und Büffeln und Rindern und Ziegen; und manche am StraÃenrand an einem Pflock angebunden, grasend. In Asilah mit den schnittigen und mit abstrakten Farbzeichnungen gemusterten Kasbahgassen und -häusern das zimperliche Getrippel der Esel, Lastesel, Reitesel, kleinen Araberpferde, Maultiere. Keine Motoren. Wie in Vorzeiten.
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Es gibt die Ahnung der Poesie, des Friedens, inneren Glücks. Wenig Freude.
Wir waren erregend glücklich (bei aller Verstörung); wir verstanden uns. Und das keimende Kind war dabei. Im Mutterleib von Odile. Ein Schmelz. Wenn der Hahn kräht.
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In Zürich J.âR. von Salis und Canetti wiedergesehen. Von Salis hat in dieser Aristokratendiktion fast atemlos monologisiert, wie im Selbstverhör oder ex cathedra und dabei in kleinen Wendungen Höflichkeiten für den Zuhörer eingeflochten, saà versunken und wie fast-blind, altersgefesselt
im Stuhl in der kleinen Stadtwohnung ClausiusstraÃe Nähe ETH , ein monomanischer Sender, nur kleine entschuldigende Handbewegungen wandten sich korrigierend an Valérie und mich. Eben war das ausschlieÃlich ihm gewidmete DU -Heft von Bachmann erschienen.
Mit Canetti im Wohnzimmer zum Vier-Uhr-Tee, samt Kuchen und Schokolade wie immer, wie zu Heras Zeiten. Er ist zuerst ziemlich still und wirkt unwirsch, Erkundigungen wie immer, erst nach längerem kommen wir auf Heras Tod zu sprechen. Er ist faltiger, gezeichnet, hätte ich gedacht oder gesagt. Sagt, er möge die Menschen nicht mehr, die meisten seien total uninteressant, stellen Sie sich vor, Nizon, das sage ich, der ich nicht genug Menschen kennenlernen konnte.
Er schreibe nicht mehr an einem bestimmten Projekt, bloà Aufzeichnungen, meint er erst. Doch später, als wir uns wieder im alten Ton gefunden und erwärmt haben, korrigiert er sich dahin, daà er natürlich an seinem Buch über den Tod weiterarbeite. Erkundigt sich genau nach den Meinen. Er sagt, er möchte sie gerne wiedersehen, sie sollen sich melden. Alle, die zu mir gehören, würde er gerne wiedersehen. Es ist eine Aufforderung.
Dann die Erzählung vom russischen Ãbersetzer (Canetti endlich ins Russische übersetzt), der ihn von Wien aus anrief und in slawisch gebrochenem Deutsch â Canetti
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