Die Belagerung der Welt - Romanjahre
Augenblick an gebündelt fühlbar, der Dritte rückt das alte Leben gleich in ein neues Licht.
Igor Odilon Maximilien, so der volle Name des Söhnchens, ist ein überaus sympathischer Citoyen, er bringt jede Menge Umtriebe, Wunder und Freude ins Haus und den Alltag, ich werde wohl in der modischen Reihe der fortsetzungswütigen Alten à la Yves Montand situiert. Einerlei.
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Mit Odile und Igor in Rom gewesen. Fragte mich jemand, ob ich bereits ein neues Buch eingefädelt habe, ich winke ab. Wenn ich mich an ein Buch begebe, ist es, wie wenn ich für die Fremdenlegion signieren wollte, ich kann es nicht anders sagen.
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Einmal träumte mir, ich befinde mich mit Freunden zum Abendessen im Restaurant. Wir tafeln und reden, und dabei weià ich, das heiÃt bricht wie durch Wolken des Verdrängens oder Vergessens immer wieder das Wissen durch, daà ich anderentags einen Weltmeisterschaftskampf im Boxen auszutragen habe. Eine fürchterliche Aussicht. Ich weià nicht, wie ich dazu komme, einesteils ist es eine unglaubliche Extravaganz â ich in meinem heutigen körperlichen Zustand? Ohne Training, Können, Muskeln, ohne alle Voraussetzung, ein 60jähriger Schriftsteller im Ring gegen einen Profiboxer? Eine Sensation. Andernteils ist es ein Albtraum, nicht auszudenken, was die feindliche Kampfmaschine mit mir anstellen wird. Was heiÃt anstellen? Umbringen wird mich der Gegner. Und dabei ist gegen jedes bessere Wissen Hoffnung im Spiel. Und es ist ja noch Aufschub, noch nicht aller Tage Abend. Trinken wir, reden wir, denken wir nicht daran. Hoffnung und Angst, Hochgefühl und Pa
nik schweben wie Zigarettenrauch über der Tafelrunde. Es ist der Vorabend vor der Bewährung. Vor welcher? Vor dem Kampf wäre ein Titel.
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Die Nachricht von Frischs Tod steht in den Zeitungen. Frisch hat Dürrenmatt nur um wenige Monate überlebt. Die beiden waren im literarischen Gespräch und Betrieb aneinandergekettet wie Sträflinge oder Zwangszwillinge; keine Nennung des einen ohne eine vergleichende Bemerkung über den andern. Sie kamen nicht voneinander los, sie litten unter dem ihnen aufgezwungenen Wettbewerb und ewigen Vergleich. Sie sprachen zeitweilig sehr böse übereinander.
Ich bin Frisch in Rom 1960 begegnet und dann gleich als junger Freund akzeptiert worden. Wir fuhren des öfteren in seinem kleinen Fiat-Sportwagen in die Albaner Berge oder aus der Stadt ins Freie zum Essen. Frisch war fast 50, ich 30. Später in Zürich waren wir häufig zusammen, oft mit Ingeborg Bachmann. Ich kam durch Frisch zu Suhrkamp. Frisch bekundete ein gewissermaÃen hochgereiztes Interesse an meiner damaligen arroganten Person, es war, wie ich zu spüren meinte, eine mit Skepsis vermischte Zuneigung; und auch Stolz spielte mit, er hatte in mir einen Zugewandten aus der nachfolgenden Generation, der sich (in seinen Augen) genialisch gab, liederlich aufführte, eine Vorführperson. Zum Erscheinen des Canto telegrafierte er mir, er »habe Canto gelesen und verstanden«, er beglückwünsche mich und beneide mich um Möglichkeiten. Ich fiel mit Canto von einer erheblichen Erwartungshöhe in ein Jammertal des Nichterfolgs und meinte bei Frisch zu wenig Solidarität oder Mitgefühl konstatieren zu können. Ich nahm ihm das sehr übel. Ich trat die sieben mageren Jahre (bis zum Erscheinen von Im Hause enden die Geschichten ) an und sah Frisch immer in einer Machthaberposition kraft seiner
Berühmtheit und seines Reichtums. Ich selber war out. Ich bewunderte ihn nicht. Und dennoch hat mich 1954, nein, ich glaube, es war in meiner Assistentenzeit am Historischen Museum, also eher etwas später, sein Stiller nicht nur beeindruckt, sondern ermutigt, das war neu in der Schweiz. Frisch war entzückt von der Lektüre meiner Gleitenden Plätze , das war in Rom, er telefonierte gleich ins Institut. Er gab mir jeden Kredit, damals. Auch hatten wir schöne Gespräche bei unseren Essensausfahrten, als ich am Institut in Rom war und nichts tat und mir um so mehr den Anschein des MüÃiggangs und Nichtstuers geben durfte, als er hart arbeitete und bereits eine viel beanspruchte öffentliche Person war. Ich war die personifizierte Pause oder Verantwortungslosigkeit neben ihm. Er sprach nicht gut italienisch, er verstand meiner Meinung nach das italienische Lebensgefühl nicht. Das vertrackte Verhör-Denken, das er
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