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Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Titel: Die Belagerung der Welt - Romanjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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seinen aus Trümmern und Sockeln gezeichneten Gevierten und Straßen, mit dem ganzen Trümmergrundriß nicht nur Haus und Tempel und Platz, sondern offene Stadt und antikes Leben im Licht suggeriert. Ich mag die Ruinenromantik keineswegs und nicht den Grottenkitsch des Historismus. Ich spreche auch nicht von dem, ich spreche von der Berückung, einem Glück, das mich überkam und vollkommen erfüllte in den reinlichen Steinüberresten, die Haus und Innenhof und Forum und Bäder, Nympheum und Gymnasium und Tempel und Amphitheater vor den Augen leibhaft erstehen lassen und dir die Ahnung zutragen von dem, was am Anfang der Zeiten Zivilisation war, nämlich in die Natur hinein errichtete steinerne Bühne für menschliches Zusammensein. Und auf der Bühne ergehen sich die Leiber und werden der anderen Körper gewärtig, aus der Darstellung auf der Bühne der steinernen Siedlung wird das Wunder der Ansicht geboren und mit ihm die Lautwerdung, Schritt, Gehen, Liegen, Sitzen, Ruhen, Begegnung, Lebenslaut und Gespräch. Die Bühne ist die Mutter der Kultur. Und die Kultur setzt sich ab von der Natur, die wiederum mitsamt Himmel und Gestirn und Meer, mitsamt Bäumen und Gesträuch, Blumen und Hain Gegenstand der Wahr
nehmung, Erforschung und Verehrung wird. Ich kann es nicht wirklich formulieren, doch floß dieser ganze Hof in den Augen-Blick ein als ein Glücksgefühl.
    Die Farbe des Steins in Tipasa ist ein bräunlicher Erdton. Das Reinliche der freigelegten Spolien und Basen, die summende Friedhofsstille aus Büschen und Baum rundum. Die Trümmer zeichnen das Grundrißliche, und das Auge ergänzt das Zugehörige, indem es aufbaut und weitersinnt. Die Trümmer wie zerbrochenes Spielzeug für Giganten. Das Gefühl von Menschenmaß überall, von Körpergestalt. Selbstdarstellung und Beobachtung, Denken und Sinnen, Laut und Gesang. Alles im afrikanischen Licht, einem Glühlicht bei hellem Tag. Entrückung. Falsche Eichen und Oliven, Anisstrauch, Immergrün.
    Hier beginnt die Geschichte. Die Natur hat kein Gedächtnis. Und die Schönheit beginnt hier. Alles atmet Anfang. Der früheste Stein ist der Grabstein. Die früheste Schrift Grabschrift. Das Einritzen, die eingeritzte Spur. In meiner Glückserregung sprang eine Spur nach Rom auf. Jenes Rom war natürlich auch das antike Rom; hatte mich nicht das Forum Romanum inständig betört? Warum schrieb ich im Canto vom Pflasterstein: Es sollen Grabdeckel sein? Tipasa war Etappenhafen der Phönizier auf dem Weg nach Spanien. Danach gehörte das Gebiet zum numidischen Königsreich. Später in den römischen Staatsverband eingegliedert. Unweit Tipasa Kbor er Roumia, mauretanisches Königsgrab, vermutlich Mausoleum König Imbas II . aus dem 1. Jahrhundert v. Chr. besucht. Mit Igor und Odile in den inneren Steingängen herumgekrochen und das Gewicht und die Finsternis der Grabsteinbrocken und die Kühle empfunden. Der Rundbau, außen abgetreppt, ist 34 m hoch.
    Eine Ausflugsklasse algerischer Mädchen, manche im Tschador, kam lautstark singend, skandierend, lachend daher, und ließ sich auf den unteren Würfelbrocken des Grabbaus zum
Gruppenbild nieder, mit Igor in der Mitte. Das entsprechende Foto mit dem kleinen Boten aus Europa im Zentrum (der lieblichen künftigen Mütter) wird als Erinnerungsbild in vielen Haushalten namenlos weiterexistieren.
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    Im Bus, Höhe Parc Monceau, eine Schönheit erblickt, die mir nicht nur nahe, sondern durch und durch ging und seither nicht mehr aus dem Sinn. Ich saß ganz vorn hinterm Fahrer und wurde aus dem Zeitungslesen durch ein Kleinkindergeschrei aufgescheucht, drehte mich um und sah in ein wunderbar lächelndes Frauengesicht. Das Geheul hatte ihr Gesicht zu diesem schönen schimmernden liebsten Lächeln verlockt. Vor dem Aussteigen stellte ich mich so, daß ich die Frau näher ansehen konnte. Eine hinreißende Schönheit, wohl 20, schwarzhaarig, dunkelglanzäugig, bleichhäutig, der schöne Mund mit einem leicht gewagten Rot angemalt, Schminke und Augenschatten luxuriös. Die Natur hatte ihr alles gegeben, und sie hatte den Geschmack und die Mittel, das alles aufs dezenteste auszustellen. Was mich am meisten beeindruckte, war das Decolleté. Zwar trug sie einen Mantel, ich erinnere mich nicht genau, nun, Herbstkleidung, und dennoch sah ich in zwei von einem Schalkragen nur

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