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Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Titel: Die Belagerung der Welt - Romanjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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leicht angeschnittene, halb entblößte Brusthälften von einem Schmelz, einer derartig verführerischen Rundung und Makellosigkeit, daß ich gleich »mon pigeon«, mein Täubchen, flüsterte. Ich weiß nicht, welcher Nationalität, Herkunft sie war, sicher ist, daß sie zu jenen dunklen Schönheiten, nicht Exotinnen, nicht Männerverbrennerinnen, nicht Südstaatlerinnen, nein, zu jenen Sendboten aus einer heiteren glücklichen Tausendundeine Nacht, zu einem Prinzessinnengeblüt gehört, das mich so tief anrührt und bei welchem ich nie die geringste Chance hatte.
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    Beim Notar. Maître Le Dieu de Ville sitzt hinter seinem mit Dossiers überladenen Schreibtisch zusammengekauert da in seinem noblen, von Asche bestäubten Nadelstreifenanzug, den gekerbten Kopf unter der weißen Mähne genüßlich zurückgelehnt, und holt aus zu großspurigen Deklamationen, während die Sekretärin nebenan den aufgesetzten Schriftsatz abtippt. Er meint, zu seinem Klienten, einem Künstler, mir und einem weiteren Zeugen, Bildhauer, gewandt, er habe leider für Kultur immer zu wenig Zeit aufgebracht, was er zu ändern hoffe nach seinem baldigen Rücktritt von den Geschäften (er nähert sich den 70ern); was zum Beispiel die Literatur betreffe, so komme er aus Gründen der Schlaflosigkeit nicht dazu und zwar insofern, als er, falls er zu einem anspruchsvollen Buch greife, so hellwach werde, daß er überhaupt nicht mehr einschlafen könne; nehme er sich aber leichte Kost vor, so wirke das Buch als Schlafmittel, so daß er ebenfalls nichts mitbekomme. Fernsehen führe er sich auch nur zu, um den Kopf zu entleeren, mit Ausnahme von Boxkämpfen, das möge er, weniger die Schwergewichtler als die Mittel- oder Halbschwerkategorie oder noch leichter. Nun, er gehe demnächst wie gesagt in Pension. Wissen Sie, was einer braucht, der in Pension geht? Les trois sous et une bonne santé, une santé de fer (das nötige Kleingeld und eine gute, eine eiserne Gesundheit). Voilà. Um nun aber auf die Kultur zurückzukommen, nehmen wir Musik. Musik höre er sich gerne an, sei aber auch auf diesem Gebiet leider zu wenig gebildet, er werde gleich illustrieren, was er damit meine. Er habe eine Enkelin, Absolventin einer Eliteschule, außerdem vielseitig interessiert. Diese Enkelin kenne sich in der Musik so gut aus, daß sie im Konzertsaal gleich merke und sagen könne, wenn ein Solist eine falsche Note anschlage. Das wiederum setze voraus, daß man das Original, also die Partitur oder eben das Stück gewissermaßen intus habe, so daß man die Interpretation
auch wirklich beurteilen könne und das Falschspielen gleich mitbekomme, was ihm, einem hoffnungslosen Nichtkenner, leider aus den genannten Gründen nicht gegeben sei. So höre er einfach hin und lasse sich die Musik gefallen. Wenn er erst einmal in Pension gehe, werde er erstens nie wieder das Auto nehmen, er werde den Bus benutzen, darauf freue er sich, aufs Busfahren ohne Hetze und zeitliche Verplanung. Und dann die Museen. Ob wir eigentlich wüßten, daß es allein in Paris mehrere hundert Museen gebe, und wenn er pro Woche nur einen einzigen oder allerhöchstens zwei Museumsbesuche in Betracht ziehe, dann sei ja leicht auszurechnen, für wie lange er allein auf diesem Gebiet mit einer gezielten Aktivität versorgt sein werde.
    Als wir endlich nach erbrachter Unterschrift aufstanden und die Verabschiedung einleiteten, sagte er zu mir: Au boulot, écrire, vite! An die Säcke. Schreiben. Marsch. Ein toller Bursche, Maître Yves Le Dieu de Ville. Ein Schauspieler wie alle Anwälte.
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    Ich nahm von Jules Joffrin aus den 64er Bus, der über viele kleine und kleinste Straßen und Gäßchen die Butte Montmartre beklettert und durchschnüffelt wie ein Jagdhund. Bei mir wühlte die Busfahrt eine Menge Erinnerungen auf. Man landet schließlich bei der Metrostation Abbesses , um ohne Umschweife zur Endstation Pigalle hinunterzustechen. Die sagenhafte Bar aus den fünfziger Jahren ist wieder in Betrieb. Das Lokal, immer gerammelt voll, ein Panoptikum von Schurken und Huren, teils von Fellinischem Zuschnitt, war damals durchgehend geöffnet. Das heißt, es schloß irgendwann nach Mitternacht mehr oder weniger symbolisch für eine knappe halbe Stunde, um auszulüften und den schlimmsten Dreck zusammenzukehren. Ich saß unter

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