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Die Belasteten: ›Euthanasie‹ 1939-1945. Eine Gesellschaftsgeschichte (German Edition)

Die Belasteten: ›Euthanasie‹ 1939-1945. Eine Gesellschaftsgeschichte (German Edition)

Titel: Die Belasteten: ›Euthanasie‹ 1939-1945. Eine Gesellschaftsgeschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Götz Aly
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Lüneburg nach Herborn und Hadamar verlegt. Ich merkte sehr bald, dass die ganze Verlegung nichts anders war, als die Patienten zu töten (Euthanasieren). Dannach war hier auch alles abgestimmt, Unterkunft, Verpflegung und Behandlung waren die denkbar schlechteste. Herr Klein schrieb jede Woche die Küchenzettel aus, meistens eine Kohlsuppe, in denen Kartoffelschalen herrumschwammen, am Sonntage Pellkartoffeln mit einer dünnen Tunke. Häufig gab es bei dem Essen bei den Patienten, sehr unliebsame Darmstörungen. Oft wurden Patienten vom Gute fortgeholt, um in der Anstalt getötet zu werden. Auch gab es Schläge und Fußtritte, – ich selbst bin einmal von einem Pfleger sehr misshandelt worden, weil ich infolge eines Hexenschusses nicht arbeiten konnte. Als ich einmal Herrn Klein sagte, man könnte glauben, sie machen mit dem Essen dasselbe wie der Krankenhausverwalter Huller in Diez, der wegen Unterschlagung von Lebensmittel zum Tode verurteilt wurde, bekam ich 6 Wochen Haus Arrest. Kranke, die bei den ungenügenden Essen, am Sonntage in dem Umgegend bei fremden Leuten um Essen baten, mussten oft monatelang am jeden Sonntag zu Bette bleiben. (…) Klein war roh und rücksichtslos. Es war gut, dass uns die Amerikaner von diesem Hitler Wahnsinn befreiten. Ich möchte nun so gerne hier wieder fort und hatte den jetzigen Direktor, Herrn Altvater, oft darum gebeten, aber (er) tut oder will es nicht, obwohl ich nur krank gewesen bin, und schon 33 Jahre in den Anstalten verweilte, meine Verlegung nach der Lüneburger Anstalt erfolgte im Jahre 1912 – freiwillig auf Antrag meiner verstorbenen Frau Mutter, da ich infolge einer früheren Kinderkrankheit ertaubt bin. Obwohl die Raum- und Ernährungsfrage augenblicklich im Vordergrunde steht, würde ich in der Lüneburger Anstalt, wo ich heuer untergebracht wäre, sofort wieder aufgenommen (werden). Ich würde mich (freuen), wenn das Gericht mir dazu verhelfen könnte, um dass, was mir hier wiederfahren ist, es einigermaßen, wieder gut zu machen. Achtungsvoll Karl Reich (geboren am 6. April 1885 in Hannover). [5]  

Ich möchte nicht verbrannt werden
Maria Anazka verrichtete Zwangsarbeit bei einem Bauern im Allgäu, lief davon, wurde aufgegriffen und im Juni 1944 verwirrt in die Anstalt Kaufbeuren eingewiesen. Nach monatelangen Torturen mittels Elektroschocks versetzte ihr der Stationsarzt am 2. März 1945 die Todesspritze. Im Aufnahmebefund steht:
    28. 6. 1944: Bei der Verbringung in die Abteilung macht sie keine Schwierigkeiten. Ließ sich willig baden. Der Körper, besonders die Füße, waren sehr schmutzig. Gibt an: »Ich bin Ukrainerin, bin beim Bauern Stetter gewesen.« Den Ort könne sie nicht sagen. »Acht Jahre zur Schule gegangen. Wo die Eltern leben, weiß ich nicht, wahrscheinlich in der Ukraine. Ich bin 20 Jahre alt. Jetzt bin ich im Krankenhaus.« Spricht gebrochen Deutsch. Abends wurde sie etwas unruhig und laut. Sie möchte arbeiten und wieder nach Hause, sie möchte nicht verbrannt werden. Hat die ganze Nacht ohne Medikamente geschlafen. In der Frühe versorgte sie sich selbst.
    29. 6. 1944: Ängstlich, jammert zeitweise, lässt sich aber willig untersuchen. Zeitweise sehr verwirrt, ängstlich erregt. Drängt aus dem Bett, muss fixiert werden. Nahrungsaufnahme ist gut.
    30. 6. 1944: Beginn einer Elektroschockkur. Ängstlich, schreit plötzlich auf, verkriecht sich unter der Bettdecke, ist kaum ansprechbar. [439]  

Wir kennen keine Liebe mehr
Frieda Fiebinger wurde am 16. August 1943 aus den Alsterdorfer Anstalten in Hamburg nach Wien deportiert, sie gehörte zu den 228 Frauen dieses Transports. Nur fünf der Patientinnen überlebten. Frieda Fiebinger starb ausgehungert und entkräftet am 10. Juni 1945 in Wien. Im November 1943 gelang es ihr, den folgenden Brief aus der Wiener Todesanstalt Am Steinhof an die Alsterdorfer Krankenschwester Alwine Wagener zu schicken.
    Meine liebe Tante Alwine, nun möchte ich Dir einen Brief schreiben. Diesen Brief möchte ich Dir schon heimlich schreiben, was ich bis heute erlebt habe. Als wir abends in Wien angekommen sind, sind wir denselben Abend verteilt worden. Wir sind nach Haus 21 gekommen, wo Du uns den anderen Morgen gefunden hast. Da liegen wir noch heute. Wir sind sehr unfreundlich empfangen worden. Wir sind auf Erde gelegt. Die Erde war sehr unrein. Die Schwestern haben unser Zeug von unserem Leib gerissen und am anderen Morgen sind unsere Haare auch abgekommen. Ja, Du weißt es, wie ich jetzt

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