Die Bernsteinhandlerin
unbedingt, was Matthias und mich verbinden wird. Und wie es scheint, werde ich ihn wohl nicht einmal dazu bringen können, mich wenigstens zu respektieren â von seiner furchtbaren Mutter ganz abgesehen!« Barbara schüttelte den Kopf.
Sie kamen eben an einem Tuchhändler vorbei, der feinste Stoffe feilbot. »Wäre das nicht auch etwas für Euch?«, fragte der Händler und wandte sich damit an Barbara. Er deutete auf ein wunderbar flieÃendes Gewebe in einem hellen Braunton und entrollte es ein Stück. »Dieser Farbton dürfte vortrefflich mit dem Bernsteinschmuck harmonieren, den Ihr tragt!«
»Er hat recht«, stellte Heinrich Heusenbrink fest. »Dieser Ton würde dir ganz ausgezeichnet stehen â und gewiss gibt es hier in Lübeck auch einen fähigen Schneider, der mit diesem Gewebe etwas anzufangen wüsste.«
»Ja, ja, der schönste Stoff kann durch einen dilettantischen Schneider ruiniert werden!«, stimmte der Tuchhändler zu. »Aber dem würde nicht so sein, wenn Ihr zu Folkert Harmsen geht. Die besten Familien in Lübeck lassen dort ihre Kleider schneidern â¦Â«
»Und vermutlich gibt er Euch für jeden Kunden, den Ihr ihm vermittelt, etwas ab«, vermutete Heinrich Heusenbrink. »Aber dagegen ist nichts zu sagen.«
»Ich habe auch Familie und Kinder und muss sehen, wie ich die nötigen Taler zusammenbekomme!«, erwiderte der Händler.
Barbaras Aufmerksamkeit war inzwischen jedoch durch etwas anderes völlig abgelenkt. Schon die ganze Zeit über, da sie sich an dem Stand des Tuchhändlers aufgehalten hatten, war ihr so gewesen, als beobachtete sie jemand. Zunächst hatte sie gezögert, sich allzu auffällig umzudrehen und sich selbst vor aller Augen zum Narren zu machen. Dann hatte sie es aber doch getan.
Etwa ein Dutzend Schritte von ihr entfernt stand der Ritter mit dem Rosenschwert-Wappen und starrte sie unverwandt an.
Sie erinnerte sich daran, ihn kurz am ersten Tag ihres Aufenthalts in Lübeck vom Fenster ihres Gästegemachs aus gesehen zu haben, wie er die StraÃe vor dem Haus der Isenbrandts entlangritt. Für einen kurzen Moment waren sich ihrer beider Blicke dabei begegnet, ohne dass Barbara dem zunächst eine Bedeutung beigemessen hatte.
Ein flüchtiger Blick â das war alles. Barbara war sich im Grunde noch nicht einmal sicher gewesen, ob dieser Mann sie seinerzeit überhaupt bemerkt hatte. Aber jetzt tat er das zweifellos â er sah geradewegs in ihre Richtung. Sein Gesichtsausdruck wirkte offen und freundlich, aber entschlossen. Da war nichts Falsches, nichts, was Barbara in irgendeiner Form an die hinterlistige Verlogenheit erinnert hätte, wie sie in den Zügen von Matthias Isenbrandt oder seiner Mutter unübersehbar war.
Unversehens lieà ein durchdringendes Geräusch Barbara zusammenzucken. Pferde wieherten, Räder kratzten über den Boden. Ein Gespann war durchgegangen. Der Kutscher saà hilflos auf dem Bock, und die Pferde stoben vorwärts. Irgendetwas musste die Tiere erschreckt haben. Die Menschen auf dem Markt sprangen zur Seite â Männer, Frauen und Kinder versuchten
sich vor den scharfen Hufen in Sicherheit zu bringen. Ein Kind in einem vor Dreck starrenden Leinengewand befand sich jedoch nach wie vor mitten auf dem Weg, den das Gespann genommen hatte. Der Junge war nicht älter als vier oder fünf Jahre. Gerade hatte er noch um milde Gaben gebettelt, jetzt stand er wie erstarrt da und blickte dem heranrasenden Gespann entgegen. Wie angewurzelt wirkte er. Sein Mund öffnete sich ein Stück, und sein Gesicht bekam einen Ausdruck, der halb kindliches Staunen und halb namenloser Schrecken war.
Barbara spürte den Griff ihres Vaters, der sie zur Seite ziehen wollte. Doch sie strebte in die entgegengesetzte Richtung. Sie schnellte auf das Kind zu, fasste den Jungen beherzt bei den Schultern und versuchte ihn mit einem Ruck aus der Gefahrenzone zu reiÃen.
Im selben Moment war der Ritter mit dem Rosenschwert-Wappen dem Gespann entgegengetreten. Wiehernd scheuten die beiden Pferde und stellten sich auf die Hinterbeine. Der Wagen kam zum Stehen.
Die Pferde beruhigten sich etwas, und daraufhin bekam der Ritter mit dem Rosenschwert-Wappen die Zügel zu fassen, die dem Kutscher längst entglitten waren. Eines der Tiere fasste der Retter schlieÃlich beim Geschirr und berührte sachte dessen Nüstern. Dabei sprach er leise
Weitere Kostenlose Bücher