Die Bernsteinhandlerin
und beruhigend auf das Pferd ein.
»Habt Dank!«, rief der Kutscher, nachdem er sich gefasst hatte und vom Bock heruntergestiegen war. Er war kreidebleich, der blanke Schrecken stand ihm noch immer ins Gesicht geschrieben. »Ihr scheint ja wirklich etwas von Pferden zu verstehen! Sonst würden die nicht so auf Eure Worte hören, Herr!«
»Manches Pferd ist verständiger als mancher Mensch«, erwiderte der Ritter.
»Na, da habe ich andere Erfahrungen gemacht. Aber sagt, wie kann ich Euch vergelten, was Ihr getan habt?«
»Behandelt in Zukunft Eure Pferde besser! Dann sind sie nicht so schreckhaft«, entgegnete der Ritter kühl und drehte sich sogleich in Barbaras Richtung um.
Erst jetzt lieà sie den Jungen los, dessen Unterarme sie mit eisernem Griff umschlossen gehalten hatte. Der Junge sah zuerst Barbara, hernach den Ritter an und lief davon. Wenig später war er in der Menge verschwunden.
»Ihr habt ein gutes Werk getan«, sagte der Ritter an Barbara gewandt. »Ich hoffe, der Herr wird es Euch irgendwann vergelten!«
»So wie Er Euch das Eure hoffentlich vergilt!«, erwiderte Barbara. »Darf ich fragen, wer so mutig diesem Höllengespann Einhalt geboten hat?«
Der Ritter verneigte sich leicht. »Mein Name ist Erich von Belden. Ich bin Hauptmann in der Stadtwache. Und was meinen Mut angeht, solltet Ihr nicht übertreiben.«
»Oh, das ist keine Ãbertreibung!«
»Was ich getan habe, hat mehr damit zu tun, dass ich, im Gegensatz zu diesem Kutscher da vorne, etwas von Pferden verstehe und weiÃ, wie sie sich verhalten. Sie handeln aus Angst â das haben sie mit den Menschen gemein.« Erich von Belden trat einen Schritt näher. »Darf ich erfahren, wer Ihr seid?«
»Ich bin Barbara Heusenbrink«, erklärte die junge Frau, deren Körperhaltung sich straffte. Die Stimme ihres Gegenübers hatte sie vom ersten Augenblick an für sich eingenommen.
Ein angenehmes warmes Gefühl breitete sich in ihr aus. Sie musste unwillkürlich schlucken und dachte: Wenn doch nur eine Ahnung eines solchen Gefühls aufkäme, wenn ich Matthias Isenbrandt begegne! Aber davon konnte nicht im Entferntesten die Rede sein. Barbara deutete auf ihren Vater und stellte ihn vor.
»Heusenbrink, sagt Ihr«, murmelte Erich von Belden. »Diesen Namen habe ich schon gehört.«
»Die ganze Stadt redet über die bevorstehende Verlobung zwischen meiner Tochter und Matthias Isenbrandt«, erläuterte Heinrich Heusenbrink. »Möglicherweise habt Ihr in diesem Zusammenhang von uns gehört.«
Erichs Augen verengten sich leicht. Sein Gesicht bekam einen Ausdruck, den Barbara erst sehr viel später zu deuten wusste. »Ja, so wird es wohl sein«, bestätigte er.
»Ihr habt meine Tochter gewiss vor Schaden bewahrt«, meinte Heinrich Heusenbrink.
»So, wie Eure Tochter einen Bettlerjungen zu schützen versuchte«, ergänzte Erich.
»HeiÃt es nicht: Was ihr dem Geringsten unter euch tut, das habt ihr mir getan?«, gab Barbara zurück.
»Und doch kommt es selten vor, dass jemand auch danach lebt, wenn er nicht gerade ein armer Bettelmönch ist, der sich für seine Nächsten aufopfert.«
Erich von Belden verneigte sich noch einmal, und auch Barbara senkte etwas den Kopf. »Vielleicht werden uns die Wege des Herrn wieder zusammenführen, wenn die Zeit kommt«, sagte er. »Bis dahin möge Er Euch schützen.«
»Euch auch«, bekräftigte Barbara.
Alsdann ging der Ritter davon. Barbara sah ihm nach. »Ein Mann von edler Gesinnung!«, befand sie.
»Doch hätte deine edle Gesinnung dich gerade eben fast umgebracht, Barbara«, hörte sie daraufhin die tadelnden Worte ihres Vaters. »Ist dir das eigentlich klar?«
Barbara seufzte.
»Ach, Vater â¦Â«, hauchte sie, und ein mattes Lächeln umspielte für ein paar Augenblicke ihre Lippen.
SECHSTES KAPITEL
Ein gehenkter Henker und drei schwarze Kreuze
Es lebt der Kerkermeister nicht viel besser als jene, die bei ihm geschunden werden und schmachten.
Pater Cornelius, Lübeck; 1447
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Der Morgen war eisig, und es war die Kälte, die Erich von Belden an diesem Morgen früh erwachen lieÃ. Das Kettenhemd legte Erich nicht an, denn die Metallringe, aus denen es bestand, leiteten die Kälte nach einiger Zeit selbst durch das dickste Wollwams hindurch. So schnallte er sich nur den
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