Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Berufung

Titel: Die Berufung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
Vom Netzwerk:
plötzlich auf den Stoppknopf schlug und ungläubig auf den Fernseher starrte. Der Spot wurde um 7.29 Uhr gesendet, mitten in den Lokalnachrichten. Er begann mit zwei gut angezogenen jungen Männern, die sich leidenschaftlich küssten, während hinter ihnen ein Geistlicher unbekannter Konfession wohlwollend lächelte. Eine heisere Stimme im Off verkündete: »Gleichgeschlechtliche Ehen sind überall im Land auf dem Vormarsch. In Staaten wie Massachusetts, New York und Kalifornien werden die Gesetze infrage gestellt. Befürworter von schwulen und lesbischen Ehen setzen alle Hebel in Bewegung, um dem Rest der Gesellschaft ihren Lebensstil aufzuzwingen.« Das Foto eines Hochzeitspaares - ein Mann und eine Frau - wurde mit einem großen schwarzen X gestempelt. »Liberale Richter sind der Meinung, dass gleichgeschlechtliche Ehen rechtens sind.« Das Foto wurde durch ein Video ersetzt, in dem eine Gruppe Lesben zu sehen war, die in einer Massenzeremonie heirateten. »Unsere Familien werden angegriffen - von homosexuellen Aktivisten und von den liberalen Richtern, die sie unterstützen.« Als Nächstes kam ein kurzes Video, in dem eine wütende Menschenmenge eine amerikanische Flagge verbrannte. Die Stimme aus dem Off sagte: »Liberale Richter haben das Verbrennen unserer Flagge gebilligt.« Darauf folgte eine kurze Einstellung auf ein Zeitschriftenregal mit Exemplaren des Hustler. »Liberale Richter halten Pornografie nicht für schlecht.« Dann das Foto einer lächelnden Familie, Vater, Mutter, vier Kinder. »Werden liberale Richter unsere Familien zerstören?«, fragte der Erzähler mit unheilvoller Stimme, die keinen Zweifel daran ließ, dass sie es tun würden, wenn man sie denn ließe. Plötzlich war das attraktive Gesicht von Ron Fisk auf dem Bildschirm zu sehen. Er sah mit ernstem Blick in die Kamera und sagte: »Nicht in Mississippi. Ein Mann, eine Frau. Ich bin Ron Fisk und kandidiere für den Supreme Court. Und ich habe diesen Spot genehmigt.«
    Schweißüberströmt und mit heftig klopfendem Herzen setzte sich Sheila auf den Boden und versuchte zu denken. Der Wettermoderator begann mit seiner Vorhersage, doch sie hörte ihn gar nicht. Sie legte sich auf den Rücken, streckte Arme und Beine aus und holte tief Luft.
    Gleichgeschlechtliche Ehen waren in Mississippi ein Tabuthema und würden es bis in alle Ewigkeit bleiben. Niemand, dem etwas an der Unterstützung durch die breite Masse lag, hatte es je gewagt, eine Gesetzesänderung vorzuschlagen, die solche Ehen erlauben würde. Von jedem, der der staatlichen Legislative angehörte, wurde stillschweigend erwartet, dass er strikt dagegen war. Lediglich ein Richter im ganzen Staat -Phil Shingleton - hatte sich je mit diesem Thema beschäftigt, und er hatte die Klage von Meyerchec/Spano in Rekordzeit abgewiesen. Der Supreme Court würde sich vermutlich in etwa einem Jahr mit dem Fall beschäftigen, doch Sheila erwartete eine knappe Überprüfung, gefolgt von einer schnellen Entscheidung, die mit neun zu null Stimmen das Urteil von Richter Shingleton bestätigte.
    Wie konnte man sie nur als liberale Richterin hinstellen, die Homosexuellenehen unterstützte?
    Der Raum drehte sich um sie. Als die nächste Werbepause kam, erstarrte sie, weil sie damit rechnete, dass jetzt der nächste Angriff kam, doch sie hörte nur das Gequake eines Autohändlers und die Sonderangebote eines Billigmöbelgeschäfts.
    Fünfzehn Minuten später wurde der Spot dann doch noch einmal gesendet. Sie hob den Kopf und sah fassungslos zu, wie dieselben Bilder derselben Stimme folgten.
    Ihr Telefon klingelte. Nach einem Blick auf die Nummer im Display war klar, dass sie nicht abnehmen würde. Sie duschte, zog sich hastig an und betrat um Punkt 8.30 Uhr mit einem strahlenden Lächeln und einem herzlichen »Guten Morgen« ihr Wahlkampfbüro. Die vier freiwilligen Helfer, die gerade da waren, wirkten bedrückt. Auf drei Fernsehern liefen drei verschiedene Programme. Nat war in seinem Büro und brüllte jemanden am Telefon an. Er knallte den Hörer auf die Gabel und winkte sie herein. Dann machte er die Tür hinter ihnen zu.
    »Haben Sie den Spot gesehen?«, fragte er.
    »Zweimal«, erwiderte sie leise. Auf den ersten Blick wirkte sie ruhig. Alle anderen waren fassungslos, und es war wichtig, zumindest so tun, als würden die Spots sie nicht im Mindesten beeindrucken.
    »Flächendeckend«, sagte er. »Jackson, Golfküste, Hattiesburg, Laurel, alle fünfzehn Minuten auf allen Fernsehsendern. Plus

Weitere Kostenlose Bücher