Die Berufung
Bürger zu werden, haben Meyerchec und Spano dreitausend Dollar für einen gebrauchten Saab gezahlt. Im Kaufvertrag stehen beide Namen, wie bei einem Ehepaar. Dann haben sie sich ein Kennzeichen besorgt. Der Saab steht vor ihrer Wohnung und ist seit sechsunddreißig Tagen nicht bewegt worden.«
»Was wollen Sie mir damit eigentlich sagen?«, fragte sie.
»Das werden Sie gleich sehen. Unsere beiden Jurastudenten haben sie gefunden, in Chicago, wo Meyerchec eine Schwulenbar besitzt und Spano als Innenarchitekt arbeitet. Gegen ein kleines Entgelt sind die Studenten bereit, nach Chicago zu fliegen, ein paar Tage dort zu bleiben, in der Bar herumzuhängen, sich umzuhören, Informationen zu sammeln.«
»Informationen für was?«
»Informationen, die - hoffentlich - beweisen, dass Meyerchec und Spano gar nicht in Mississippi wohnen, dass ihr Aufenthalt hier nur vorgetäuscht war, dass jemand die beiden benutzt, um das Thema Schwulenehe auszuschlachten, und vielleicht auch, dass sie in Chicago gar kein Paar sind. Wenn wir das beweisen können, werde ich zum Clarion-Ledger, zum Sun Herald in Biloxi und zu jeder anderen Zeitung im Staat gehen und auspacken. Einen Kampf zu diesem Thema können wir nicht gewinnen, aber wir können uns wenigstens wehren.«
Sheila trank ihr Glas aus und schüttelte ungläubig den Kopf. »Glauben Sie wirklich, dass Fisk sich so etwas ausgedacht hat?«
»Fisk ist nur der Strohmann. Aber ich halte es durchaus für möglich, dass das Ganze von seinen Hintermännern inszeniert wurde. Die Schwulenehe ist in diesem Staat kein Thema, weil es nie so weit kommen wird, aber plötzlich reden alle darüber. Alle Zeitungen berichten auf der Titelseite darüber. Alle haben Angst. Mütter holen ihre Kinder ins Haus. Politiker geben dummes Geschwätz von sich.«
»Aber warum besorgen sie sich dafür zwei schwule Männer aus Chicago?«
»Ich glaube nicht, dass man in Mississippi zwei Schwule findet, die diese Art von Publicity wollen. Außerdem wissen die Schwulen hier, die sich um Toleranz bemühen, dass sie mit so einer Aktion eine heftige Reaktion der Heterosexuellen herausfordern. Das Schlimmste, das sie tun könnten, ist genau das, was Meyerchec und Spano getan haben.«
»Wenn Meyerchec und Spano schwul sind, warum sollten sie dann so etwas tun? Sie schneiden sich damit doch nur ins eigene Fleisch.«
»Aus zwei Gründen. Erstens, sie leben nicht hier. Zweitens, Geld. Jemand zahlt die Rechnungen - die gemietete Wohnung, den Gebrauchtwagen, den Anwalt und ein paar tausend Dollar extra an Meyerchec und Spano für ihre Zeit und Mühe.«
Sheila hatte genug gehört. Sie sah auf die Uhr und sagte: »Wie viel brauchen Sie?«
»Nur Geld für die Spesen - Flug, Hotel, Mahlzeiten. Zweitausend.«
»Haben wir so viel?«, fragte sie mit einem bitteren Lachen.
»Das Geld kommt aus meiner Tasche. Es wird nicht in den Büchern auftauchen. Aber Sie sollen wissen, was wir tun.«
»Meinen Segen haben Sie.«
»Und die abweichende Stellungnahme im Fall Frankie Hightower?«
»Ich arbeite daran. Aber es wird wohl noch zwei Monate dauern, bis sie fertig ist.«
»Jetzt reden Sie so, wie man es von einer Richterin am Supreme Court erwartet.«
Denny Ott hatte indirekt eine Einladung zu dem Treffen bekommen, als es eines Morgens beim Kaffee in Babe's Coffeeshop von einem anderen Pastor erwähnt worden war. Zwei Prediger von methodistischen Kirchen und der Pastor der Presbyterianer waren explizit von der Veranstaltung ausgeschlossen, doch alle anderen waren anscheinend willkommen. Bowmore hatte keine episkopalen Kirchen, und falls es tatsächlich einen Katholiken in der Stadt gab, hatte er sich noch nicht getraut, sich zu seinem Glauben zu bekennen.
Das Treffen fand an einem Donnerstagnachmittag im Gemeindesaal einer fundamentalistischen Kirchengemeinde namens Harvest Tabernacle statt. Gastgeber war der Pastor der Kirche, ein temperamentvoller junger Mann, der von allen Bruder Ted genannt wurde. Nach einem kurzen Gebet begrüßte er seine Amtskollegen, sechzehn an der Zahl, unter ihnen auch drei schwarze Geistliche. Denny Ott warf er zwar einen misstrauischen Blick zu, doch er machte keine Bemerkung darüber, dass dieser gekommen war.
Bruder Ted fackelte nicht lange und kam sofort zur Sache. Er hatte sich der Brotherhood Coalition angeschlossen, einer neu gegründeten Vereinigung fundamentalistischer Prediger aus dem Süden Mississippis. Sie hätten es sich zum Ziel gesetzt, diskret und methodisch alles nur
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