Die Berufung
schon kritischer. Nachdem er ein paar Dutzend E-Mails gelesen hatte, wurde Nat klar, dass er seine Zeit verschwendete.
Barry Rinehart hatte ungeduldig auf die Fernsehspots der McCarthy-Strategen gewartet. Als er den ersten sah, lachte er laut. Was für ein altmodischer, überholter, erbärmlich lahmer Versuch: die Richterin in schwarzer Robe am Richtertisch, dicke Gesetzbücher und sogar ein Hammer als Requisiten. Die Frau wirkte ehrlich, aber sie war Richterin, keine Fernsehmoderatorin. Ihre Augen bewegten sich, als sie den Text vom Teleprompter ablas, und den Kopf hielt sie starr wie ein Reh im Scheinwerferlicht.
Eine schwache Erwiderung, die aber nicht ohne Reaktion bleiben durfte. Ein vernichtender Schlag war angesagt. Rinehart griff in seine Videobibliothek, sein Arsenal, und wählte seine nächste Granate.
Zehn Stunden nachdem der McCarthy-Spot angelaufen war, wurde er durch eine Attacke von den Bildschirmen gefegt, die selbst die abgebrühtesten Politikexperten verblüffte. Den Anfang machte der scharfe Knall eines Gewehrschusses. Dann erschien ein Schwarz-Weiß-Foto von Richterin McCarthy, das von der offiziellen Website des Gerichts stammte. »Richterin Sheila McCarthy hat etwas gegen Jäger«, verkündete eine volltönende, bissige Stimme. »>Die Jäger in diesem Bundesstaat sind eine Gefahr für die Sicherheit^ schrieb sie vor sieben Jahren.« Dieses Zitat wurde quer über ihr Gesicht gepflastert. Dann wechselte das Bild zu einem Foto aus einem Zeitungsbericht, das Sheila McCarthy Hände schüttelnd bei einer Wahlkampfveranstaltung zeigte. »Und Richterin Sheila McCarthy mag keine Waffenbesitzer. >Es ist immer damit zu rechnen, dass die stets wachsame Waffenlobby jedes Gesetz attackiert, das die Verwendung von Handfeuerwaffen in sensiblen Bereichen irgendwie einschränken könnte. Ein Gesetzesentwurf kann gar nicht so vernünftig sein, dass die Waffenlobby nicht empört darüber herfallen würde<, so Richterin McCarthy vor fünf Jahren.« Auch diese Sätze liefen Wort für Wort in raschem Tempo über den Bildschirm. Dann folgte ein zweiter Knall, diesmal aus einer Schrotflinte, die in den blauen Himmel feuerte. Ron Fisk in Jägerausrüstung erschien. Er senkte die Flinte und sprach ein paar Sekunden lang zu den Wählern von den Erinnerungen an seinen Großvater, mit dem er als Kind in diesen Wäldern gejagt hatte. Als Naturfreund werde er die geheiligten Rechte der Jäger und Waffenbesitzer zu schützen wissen. Zum Schluss ging Ron, gefolgt von einem Rudel ausgelassener Hunde, am Waldrand entlang.
In flüchtig eingeblendetem Kleindruck zeichnete eine Organisation namens Gunowners United Now (GUN) für den Spot verantwortlich.
Tatsächlich war es bei dem zuerst erwähnten Fall um den Unfalltod eines Jägers gegangen, dessen Witwe den Todesschützen verklagt hatte. Nach einem hässlichen Prozess sprach ihr ein Geschworenengericht in Calhoun County sechshunderttausend Dollar zu. Das war die höchste Summe, auf die in dem Gerichtssaal je erkannt worden war. Bei dem Verfahren wurde schmutzige Wäsche gewaschen wie bei einer Scheidung. Angeblich waren Alkohol, Marihuana und andere Exzesse im Spiel gewesen. Beide Männer waren Mitglieder eines Jagdvereins und hatten eine Woche lang in der Wildnis kampiert. Bei der Verhandlung kamen auch Sicherheitsfragen zur Sprache. Mehrere Sachverständige wurden zum Thema Waffengesetze und Ausbildung der Jäger gehört. Obwohl die Aussagen umstritten waren, waren sich die meisten Experten laut Protokoll darüber einig, dass der Staat Mississippi bei den Sicherheitsbestimmungen hinter anderen Bundesstaaten herhinkte.
Im zweiten Fall hatte die Stadt Tupelo nach einer Schieße -
rei auf einem Schulhof, bei der es keine Toten, aber vier Verletzte gegeben hatte, den Besitz von Feuerwaffen in einem Umkreis von einhundert Metern um öffentliche Schulen untersagt. Dagegen klagten die Anwälte der Waffenlobby, und die American Rifle Association verfasste einen bedeutungsschweren und völlig überzogenen Amicus-curiae-Brief, in dem sie ihre Einstellung zu dem Verfahren kundtat. Das Gericht erklärte die Verordnung unter Berufung auf den Zweiten Zusatzartikel zur Verfassung für unwirksam. Sheila McCarthy sprach sich dagegen aus und schrieb eine Stellungnahme, in der sie sich einen Seitenhieb auf die ÄRA nicht verkneifen konnte.
Die schlug nun zurück. Als Sheila Fisks neuesten Spot allein in ihrem Büro ansah, sank ihr der Mut. Bei einer Wahlkampfrede hätte sie ihre
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