Die Berufung
wurde, erhielt jeder Anwalt Gelegenheit, seinen konkreten Fall vorzustellen und auf eine höhere Bewertung zu plädieren. Jared Kurtin äußerte sich mit keinem Wort dazu, wie viel er für die Todesfälle zu zahlen bereit war. Mary Grace beobachtete ihn genau, während die anderen Anwälte debattierten, aber seine Züge und sein Verhalten zeigten nur tiefe Konzentration.
Um 14.30 Uhr waren sie mit Klasse eins fertig und wandten sich den noch lebenden Krebskranken zu. Die Bewertung dieser Fälle war deutlich schwieriger. Niemand wusste, wie lange diese Menschen überleben und wie sehr sie leiden würden. Es war unmöglich, vorherzusagen, ob sie sterben würden. Wer Glück hatte, würde überleben und den Krebs besiegen. Die Diskussion zerfaserte in hitzige Einzelgespräche. Manchmal war selbst Richter Rosenthal überfordert und wusste keinen Kompromissvorschlag mehr. Zu vorgerückter Stunde ließ Jared Kurtin erste Anzeichen von Stress und Frustration erkennen.
Als sich die Sitzung gegen neunzehn Uhr gnädigerweise ihrem Ende näherte, konnte sich Sterling Bintz nicht mehr beherrschen.
»Lange sehe ich mir diese Spielchen nicht mehr an«, blaffte er, wobei er sich Richter Rosenthal gegenüber am anderen Ende des Tisches aufbaute. »Ich sitze jetzt seit zwei Tagen hier rum und habe noch kein Wort sagen können. Das heißt natürlich auch, dass meine Mandanten ignoriert werden. Jetzt reicht es! Ich vertrete eine Sammelklage von mehr als dreihundert Geschädigten, die Sie alle offenkundig übers Ohr hauen wollen.«
Wes setzte zu einem Tadel an, überlegte es sich jedoch anders. Sollte er doch reden. Die Verhandlungen würden ohnehin vertagt werden.
»Ich werde nicht zulassen, dass meine Mandanten vernachlässigt werden!«, brüllte Bintz. Es wurde still im Raum. In seiner Stimme und in seinem Blick lag eine Spur von Wahnsinn. Vielleicht war es am besten, ihn einfach reden zu lassen. »Meine Mandanten haben großes Leid erfahren und leiden immer noch, auch wenn Ihnen das anscheinend egal ist. Ich kann hier nicht ewig rumhängen. Morgen Nachmittag werde ich zu einem anderen Vergleich in San Francisco erwartet. Ich vertrete achttausend Mandanten, die Schmeltzer wegen des bekannten Abführmittels verklagt haben. Da hier offenbar keiner über Geld reden will, werde ich Ihnen jetzt mal sagen, was ich mir vorstelle.«
Die anderen waren ganz Ohr. Jared Kurtin und die Finanzleute wurden wach und wirkten plötzlich ein wenig steif. Mary Grace verfolgte jede Regung in Kurtins Gesicht. Wenn dieser Irre eine Zahl in den Raum stellte, würde sie sehen, wie ihr Gegner darauf reagierte.
»Wenn nicht jeder meiner Mandanten mindestens hunderttausend bekommt, können Sie Ihren Vergleich vergessen«, tönte Bintz. »Je nach Fall kann es auch deutlich mehr werden.«
Kurtin verzog keine Miene, aber das tat er nie. Einer seiner Mitarbeiter schüttelte den Kopf, ein anderer lächelte albern. Die beiden Krane-Manager runzelten die Stirn und rutschten angesichts dieses absurden Vorschlags ungeduldig hin und her.
Damit stand ein Betrag von dreißig Millionen Dollar im Raum. Wes überschlug in aller Eile die Zahlen, was nicht weiter schwer war. Bintz würde sich vermutlich ein Drittel unter den Nagel reißen, F. Clyde Hardin ein paar Krumen zuwerfen und sich dann rasch der nächsten Sammelklagen-Goldgrube zuwenden.
F. Clyde kauerte seit vielen Stunden in der hintersten Ecke und hielt einen Pappbecher in der Hand, der mit viel Wodka und wenig Eis und Orangensaft gefüllt war. Schließlich war es Samstagabend. Die Rechnung war kinderleicht. Sein Anteil belief sich auf fünf Prozent des gesamten Honorars. Das waren fünfhunderttausend Dollar nach dem höchst vernünftigen Vorschlag, den sein Anwaltskollege da so energisch unterbreitete. Laut Vereinbarung sollte F. Clyde zudem fünfhundert Dollar pro Mandant erhalten. Das waren bei dreihundert Mandanten einhundertfünfzigtausend Dollar, von denen er bisher etwa ein Drittel bekommen hatte. Bintz schien nicht geneigt, über den Rest zu sprechen. Er war ein sehr beschäftigter Anwalt und telefonisch schwer zu erreichen. Aber bestimmt würde er sein Wort halten.
Während Bintz vom Leder zog, nuckelte F. Clyde an seinem Drink.
»Wir lassen uns nicht mit Peanuts abspeisen!«, drohte Bintz. »Je eher die Ansprüche meiner Mandanten auf den Tisch kommen, desto besser.«
»Morgen früh um neun«, polterte Richter Rosenthal plötzlich. »Die Sitzung ist vertagt.«
»Eine erbärmliche Kampagne«
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