Die Berufung
lautete der Titel des Leitartikels in der Sonntagsausgabe des Clarion-Ledger, der Lokalzeitung von Jackson. Die Redaktion berief sich auf eine Seite aus Nat Lesters Bericht, um Ron Fisks schmierige Wahlpropaganda zu verdammen. Sie warf Fisk vor, Millionenbeträge von Großunternehmen einzustecken und mit diesem Geld die Öffentlichkeit hinters Licht zu fuhren. In seinen Spots wimmele es nur so Halbwahrheiten und aus dem Zusammenhang gerissenen Äußerungen. Angst sei seine Waffe -Angst vor Homosexuellen, Angst vor strengeren Waffengesetzen, Angst vor Sexualverbrechern. Fisk wurde beschuldigt, Sheila McCarthy als »Liberale« abzuqualifizieren, während ihre Arbeit, mit der sich die Redaktion eingehend auseinandergesetzt habe, doch bestenfalls als gemäßigt zu bezeichnen sei.
Das gesamte System wurde an den Pranger gestellt. Beide Kandidaten hätten so viele Spender gewinnen müssen, dass die faire und unparteiische Entscheidungsfindung gefährdet sei. Wie solle Sheila McCarthy, die bisher über 1,5 Millionen Dollar von Prozessanwälten erhalten habe, die Unterstützung ignorieren, wenn diese Anwälte vor ihr als Richterin erschienen?
Der Artikel endete mit der Forderung, die Wahl von Richtern abzuschaffen. Stattdessen sollten sie unter Berücksichtigung ihrer Qualifikation und Erfahrung durch ein unparteiisches Gremium ernannt werden.
Der Sun Herald in Biloxi wurde noch deutlicher. Er beschuldigte die Fisk-Wahlkämpfer offen der Irreführung und zog das Darrell-Sackett-Mailing als Beispiel heran. Sackett sei seit vier Jahren tot und stelle damit keine Gefahr mehr dar. Nat Lester sei es gelungen, das mit wenigen Telefonanrufen in Erfahrung zu bringen.
Die Hattiesburg American forderte die Fisk-Wahlkampfzentrale auf, die negativen und irreführenden Spots zurückzuziehen und noch vor dem Wahltag bekannt zu geben, welche großen Spenden nicht aus Mississippi kamen. Außerdem drängte die Zeitung beide Kandidaten, sich für ein sauberes Rennen einzusetzen, das die Würde des Supreme Court respektierte.
Auf der dritten Seite von Teil A der New York Times enthielt Gilberts Artikel Fotos von Meyerchec und Spano sowie von Fisk und McCarthy. Nach einem allgemeinen Bericht über den Wahlkampf konzentrierte sich der Artikel auf die Homosexuellenehe, die erst durch zwei Männer aus Illinois zum Wahlkampfthema geworden war. Gilbert wies überzeugend nach, dass die beiden seit Jahren in Chicago lebten und praktisch keine Verbindung nach Mississippi hatten. Er spekulierte nicht darüber, ob sie von konservativen politischen Kräften eingesetzt worden waren, um McCarthy zu unterminieren. Das war auch nicht nötig. Die Pointe kam im letzten Absatz, in dem Nat Lester zitiert wurde.
»Das sind Strohmänner, die von Ron Fisk und seinen Leuten benutzt werden, um ein Problem zu schaffen, das es gar nicht gibt. Ihr Ziel ist es, die christliche Rechte aufzuscheuchen und an die Urnen zu treiben«, sagte er.
Ron und Doreen Fisk saßen am Küchentisch, aber der Morgenkaffee war vergessen. Vor Wut kochend, lasen sie den Artikel im Clarion-Ledger. Bisher war der Wahlkampf so reibungslos gelaufen. Immer führten sie in den Umfragen. Noch neun Tage, und der Sieg schien zum Greifen nah. Wieso wurde Ron nun plötzlich von der größten Zeitung des Bundesstaates als »hinterlistig« und »unehrlich« abqualifiziert? Es war ein schmerzhafter, demütigender Schlag ins Gesicht, der völlig unerwartet kam. Und unverdient. Sie waren ehrliche, aufrechte Christen ohne Arg. Warum musste ihnen so etwas passieren?
Das Telefon klingelte, und Ron griff nach dem Hörer. Es war Tony Zachary.
»Haben Sie den Clarion-Ledger gesehen?«, fragte er müde.
»Ja, wir haben den Artikel gerade vor uns.«
»Was ist mit Sun Heraldund Hattiesburg Americarti«
»Nein, warum?«
»Lesen Sie die New York Times?«
»Nein.«
»Sehen Sie im Internet nach, und rufen Sie mich in einer Stunde an.«
»Ist es sehr schlimm?«
»Ja.«
Nachdem sie eine weitere Stunde mit der Zeitungslektüre verbracht hatten, beschlossen die Fisks voller Empörung, nicht zur Kirche zu gehen. Ron fühlte sich hintergangen und bloßgestellt und hatte keine Lust, das Haus zu verlassen. Die letzten Zahlen von Zacharys Meinungsumfrageinstitut in Atlanta hatten einen komfortablen Vorsprung für ihn gezeigt. Jetzt schien ihm eine sichere Niederlage zu drohen. Kein Kandidat konnte eine derartige Attacke überleben. Das war alles die Schuld der liberalen Presse. Und die von Tony Zachary und
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