Die Berufung
waren, dass es Josh besser ging, wenn sie in der Nähe waren. Müde und erschöpft, wie sie waren, hatten sie keine Geduld mehr für den Besucherstrom aus Brookhaven und versteckten sich immer öfter irgendwo im Krankenhaus.
Ron rief im Büro an und sagte seiner Sekretärin, er wisse nicht, wann er wieder arbeiten werde. Doreen teilte ihrem Chef mit, sie lasse sich beurlauben. Als der sie freundlich daraufhinwies, dass das in den Richtlinien des Unternehmens nicht vorgesehen sei, erklärte sie ihm höflich, es sei an der Zeit, diese Richtlinien zu ändern. Er versprach, das sofort zu tun.
Das Krankenhaus lag nur fünfzehn Minuten vom Carroll-Gartin-Gebäude entfernt, und Ron schaute früh am Dienstagmorgen kurz in seinem Büro vorbei. Auf seinem Schreibtisch stapelten sich neue Akten. Sein Assistent ging die Liste aller anhängigen Fälle durch, aber Ron konnte sich nicht konzentrieren.
»Ich möchte mich beurlauben lassen. Erkundigen Sie sich beim Gerichtspräsidenten danach«, sagte er dem Assistenten. »Für ein oder zwei Monate. Ich kann mich im Augenblick nicht auf diese Sachen konzentrieren.«
»Wird gemacht. Sie wollten heute Morgen Ihre Zustimmung zu Richter Calligans Stellungnahme in der Sache Baker gegen Krane zu Papier bringen.«
»Das kann warten. Alles kann warten.«
Er brachte es fertig, das Gebäude zu verlassen, ohne einem anderen Mitglied des Gerichts zu begegnen.
In der Dienstagsausgabe des Clarion-Leder erschien ein Artikel über Joshs Unfall. Richter Fisk war nicht zu erreichen, aber eine nicht genannte Quelle hatte die Fakten parat. Die Ärzte hatten ein großes Blutgerinnsel entfernt, das auf das Gehirn gedrückt hatte. Das Kind war nicht mehr in Lebensgefahr, aber es war noch zu früh, um über langfristige Schäden zu spekulieren. Der Arzt, der sich die falsche CT-Aufnahme angesehen hatte, wurde nicht erwähnt.
Im Internetchat wurden die Lücken jedoch schnell gefüllt. Es hieß, der Unfall sei durch einen unvorschriftsmäßigen Baseballschläger verursacht worden, und jemand aus dem Henry County General Hospital behauptete zu wissen, dass den Ärzten dort ein Fehler unterlaufen sei. Es gab wilde Theorien darüber, ob Richter Fisk seine bisherigen Über-
Zeugungen als Jurist über den Haufen werfen würde. Eine Stimme behauptete sogar, er stehe kurz vor dem Rücktritt.
Wes Payton verfolgte die Geschichte aufmerksam von seinem Büro aus - im Gegensatz zu seiner Frau, die sich durch harte Arbeit an anderen Fällen abzulenken versuchte. Wes war gefesselt von dem Ereignis. Da er selbst kleine Kinder hatte, wollte er sich gar nicht vorstellen, wie die Fisks litten. Aber er konnte nicht umhin, sich zu fragen, ob sich diese Tragödie auf den Baker-Fall auswirken würde. Nicht dass er mit einer plötzlichen Kehrtwende von Ron Fisk rechnete, aber ausgeschlossen war das nicht.
Um ein Wunder zu bitten war alles, was ihnen in ihrer aktuellen Situation geblieben war. Waren sie erhört worden?
Sie warteten. Die Entscheidung konnte jeden Tag fallen.
Am frühen Dienstagnachmittag zeigte Josh erste Zeichen einer Besserung. Er war wach, ansprechbar und in der Lage, Anweisungen zu befolgen. Sprechen konnte er wegen des Beatmungsschlauches nicht, aber er war unruhig, was ein gutes Zeichen war. Der Gehirndruck war auf nahezu normale Werte gesunken. Die Ärzte hatten allerdings mehrfach erklärt, dass es Tage, vielleicht Wochen dauern werde, bis eine langfristige Prognose möglich sei.
Da Josh wieder bei Bewusstsein war, beschlossen die Fisks, die Nacht zu Hause zu verbringen. Ärzte und Schwestern bestärkten sie in ihrer Entscheidung, und Doreens Schwester erklärte sich bereit, fünf Meter vom Bett ihres Neffen entfernt auf der Intensivstation Wache zu halten.
Sie waren froh, Jackson und das Krankenhaus hinter sich zu lassen, und freuten sich auf Zeke und Clarissa. Unterwegs schwärmten sie einander von Hausmannskost, ausgiebigen Duschen und ihrem bequemen Bett vor. Sie schworen sich, die nächsten zehn Stunden zu genießen, weil sie wussten, dass sie erst am Anfang einer schweren Zeit standen.
Aber es sollte schwer werden, wirkliche Entspannung zu finden. Noch am Stadtrand von Jackson klingelte Rons Mobiltelefon. Es war Richter Calligan, der das Gespräch mit langatmigen Erkundigungen nach Joshs Zustand begann und Ron das Mitgefühl aller am Gericht aussprach. Er versprach, so bald wie möglich im Krankenhaus vorbeizukommen. Ron war dankbar, wurde aber das Gefühl nicht los, dass der Anruf einen
Weitere Kostenlose Bücher