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Die Berufung

Titel: Die Berufung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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war die große Frage für ihn und seine Frau, doch sie hatten wochenlang nicht darüber gesprochen und würden es auch jetzt nicht tun. Vielleicht in ein oder zwei Tagen, wenn sie die Erschöpfung und den Schock überwunden hatten und in einem ruhigen Augenblick über die Zukunft reden konnten. Wes fuhr langsam über den Parkplatz und kam an einem überquellenden Müllcontainer vorbei, neben dem der Boden mit Abfall übersät war, meistens leere Bierdosen und Flaschen, von denen etliche in Stücke gegangen waren. Die Studenten amüsierten sich damit, ihr Leergut aus den oberen Stockwerken über die parkenden Autos hinweg in Richtung des Müllcontainers zu werfen. Wenn die Flaschen zersplitterten, gab es einen Riesenlärm, und der akademische Nachwuchs hatte seinen Spaß. Andere Bewohner fanden den Krach weniger lustig. Für die tief gesunkenen Paytons war er manchmal unerträglich.
    Der Eigentümer des Wohnblocks, ein alter Mandant, wurde in der Stadt - zumindest von den Studenten - als Mietwucherer gesehen, der aus heruntergekommenem Wohnräum so viel wie möglich herauszuholen gedachte. Er hatte den Paytons die Wohnung angeboten, und nach dem per Handschlag abgeschlossenen Mietvertrag waren jeden Monat tausend Dollar fällig. Mittlerweile lebten sie seit sieben Monaten hier, hatten aber nur für drei bezahlt. Trotzdem beteuerte der Vermieter, er mache sich keine Sorgen. Er wartete geduldig, zusammen mit etlichen anderen Gläubigern. Die Kanzlei Payton & Payton hatte in der Vergangenheit bewiesen, dass sie Mandanten gewinnen und Geld machen konnte, und war mit Sicherheit in der Lage, ein überzeugendes Comeback zu starten.
    Wir werden es versuchen, dachte Wes, während er den Wagen in eine Parklücke manövrierte. Reichen einundvierzig Millionen als Startkapital? Für einen Augenblick fühlte er sich besser, dann kehrte die Müdigkeit zurück.
    Als sie aus dem Auto stiegen, folgten sie mechanisch der grauenhaften Gewohnheit, ihre Aktentaschen mitzunehmen. »Nein«, verkündete Mary Grace plötzlich. »Heute Abend wird nicht gearbeitet. Wir lassen die Unterlagen im Auto.«
    »Okay, Ma'am.«
    Sie eilten die Stufen hoch, durch das Treppenhaus hallte laute Rapmusik. Mary Grace zog den Schlüssel aus der Tasche, schloss die Tür auf, und dann standen sie in der Wohnung, wo die beiden Kinder mit Ramona, ihrem aus Honduras stammenden Kindermädchen, vor dem Fernseher saßen. Die neunjährige Liza stürmte auf ihre Eltern zu und rief: »Mami, wir haben gewonnen!«
    Mary Grace hob sie in die Luft und drückte sie fest an sich. »Ja, mein Liebling, wir haben gewonnen.«
    »Vierzig Milliarden!«
    »Millionen, Liebling, nicht Milliarden.«
    Der fünfjährige Mack rannte zu seinem Vater, der ihn hochnahm, und für einen langen Augenblick blieben sie in der engen Diele stehen, ihre Kinder umarmend. Zum ersten Mal seit der Urteilsverkündung sah Wes Tränen in den Augen seiner Frau.
    »Ihr wart im Fernsehen«, sagte Liza.
    »Du hast müde ausgesehen«, sagte Mack zu seinem Vater.
    »Ich bin müde.«
    Ramona betrachtete sie aus einem gewissen Abstand, mit einem kaum wahrnehmbaren Lächeln auf den Lippen. Sie wusste nicht genau, was das Urteil bedeutete, hatte aber begriffen, dass es eine positive Neuigkeit war.
    Sie legten die Jacken ab und zogen die Schuhe aus. Dann ließ sich die kleine Payton-Familie auf das schöne, weich gepolsterte Ledersofa fallen, wo sie sich umarmten, kitzelten und über die Schule plauderten. Wes und Mary Grace hatten es geschafft, einen Großteil ihrer Möbel zu behalten, sodass die schäbige Wohnung noch ein paar angenehme Anblicke bot, die sie nicht nur an die Vergangenheit erinnerten, sondern auch - noch wichtiger - ein Ansporn für die Zukunft waren. Dies war nur ein Interimszustand, ein unerwarteter Zwischenstopp.
    Da der Boden des Wohnzimmers mit Heften und Papieren übersät war, konnte kein Zweifel daran bestehen, dass die Kinder ihre Hausaufgaben bereits gemacht hatten, bevor der Fernseher eingeschaltet worden war.
    »Ich sterbe vor Hunger«, verkündete Mack, während er vergeblich versuchte, die Krawatte seines Vaters zu lockern.
    »Mama sagt, es gibt Makkaroni mit Käse.«
    »Super!« Die beiden Kinder waren einverstanden, und Ramona verschwand in der Küche.
    »Ziehen wir jetzt in ein neues Haus?«, fragte Liza.
    »Ich dachte, dir gefällt's hier«, sagte Wes.
    »Schon, aber wir suchen doch trotzdem, oder?«
    »Natürlich.«
    Übermäßig viel hatten sie den Kindern nicht erzählt.

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