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Die Berufung

Titel: Die Berufung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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bestand aus vier dicken, auf Böcken montierten Sperrholzplatten, um ihn herum versammelte sich eine traurige Kollektion von Holz- und Metallstühlen, von denen keiner ganz heil war. Während der letzten vier Monate war es an diesem Tisch hoch hergegangen, noch immer lagen Berge von Papieren und Stapel juristischer Bücher darauf. Sherman, eine juristische Hilfskraft, hatte einen guten Teil des Vortages damit verbracht, Pappbecher, Pizzaschachteln, Einwegverpackungen vom Chinesen und leere Wasserflaschen zu entsorgen. Außerdem hatte er den Betonboden gewischt, ohne dass jemand den Unterschied bemerkt hätte.
    Die früheren, gut eingerichteten und hübsch dekorierten Büros waren in einem zweistöckigen Haus in der Main Street untergebracht gewesen, und jeden Abend war ein Reinigungsdienst gekommen.
    Jetzt ging es nur noch ums Überleben.
    Trotz der traurigen Umgebung war die Stimmung gut. Der Grund war offensichtlich, der Marathon lag hinter ihnen. Noch immer konnten sie nicht fassen, was für ein unglaubliches Urteil die Jury gefällt hatte. Nach viel Schweiß und Tränen hatte die kleine Kanzlei den übermächtigen Goliath in die Knie gezwungen und dem Guten zum Sieg verholfen.
    Mary Grace bat um Ruhe. Die Telefone waren abgestellt, weil Tabby, sonst für den Telefondienst zuständig, ebenfalls als vollwertige Mitarbeiterin angesehen wurde und an der Diskussion teilnehmen sollte.
    Sherman und Rusty, die beiden juristischen Hilfskräfte, trugen Sweatshirts, Jeans und keine Socken. Warum sollte man in einem ehemaligen Ramschladen auf einem Dresscode bestehen? Tabby und Vicky, die beiden Sekretärinnen, zogen ihre hübschen Klamotten nicht mehr an, seit sie mehrfach mit ihren Kleidern an dem billigen Mobiliar hängen geblieben waren. Nur Olivia, die korpulente Buchhalterin, lief jeden Tag in der Kleidung auf, die man in einer Kanzlei erwartete.
    Als alle um den Sperrholztisch saßen und den miesen Kaffee tranken, nach dem sie mittlerweile süchtig waren, hörten sie lächelnd zu, wie Mary Grace die Ereignisse noch einmal Revue passieren ließ. »Sie werden die üblichen nachgerichtlichen Maßnahmen einleiten«, sagte sie. »In einem Monat findet auf Anordnung von Richter Harrison eine Anhörung statt, aber wir erwarten keine Überraschungen.«
    »Auf Richter Harrison«, sagte Sherman, und sie stießen mit ihren Kaffeebechern an.
    In der Kanzlei ging es sehr demokratisch zu. Niemand fühlte sich unterlegen. Jeder konnte das Wort ergreifen, wenn ihm danach war. Alle nannten sich beim Vornamen. Armut ebnet jegliche Unterschiede ein.
    »Während der nächsten paar Monate«, fuhr Mary Grace fort, »werden Sherman und ich uns weiter um die Entwicklungen im Fall Baker kümmern, desgleichen um die anderen Fälle mit Mandanten aus Bowmore. Wes und Rusty sind für alles andere zuständig und sorgen dafür, dass etwas Geld hereinkommt.«
    Beifall.
    »Auf das Geld«, sagte Sherman, und erneut wurde angestoßen. Er hatte eine juristische Ausbildung an einer Abendschule gemacht, es aber nicht geschafft, die Anwaltsprüfung zu bestehen. Mittlerweile war er Mitte vierzig, doch auch als juristische Hilfskraft wusste er mehr als die meisten Anwälte. Rusty war zwanzig Jahre jünger und dachte darüber nach, Medizin zu studieren.
    »Wo wir schon bei dem Thema sind«, fuhr Mary Grace fort. »Olivia hat mich über die aktuellen roten Zahlen informiert. Immer ein Vergnügen.« Sie griff nach einem Blatt Papier und warf einen Blick darauf. »Mit der Miete sind wir jetzt drei Monate im Rückstand, was viertausendfünfhundert Dollar macht.«
    »Hoffentlich kommt sie bald, die Zwangsräumung«, scherzte Rusty.
    »Nein, der Vermieter ist immer noch unser Mandant und macht sich keine Sorgen. Alle anderen Rechnungen sind auch schon seit mindestens zwei Monaten fällig, ausgenommen natürlich die Telefon- und Stromrechnung. Der Lohn für die Mitarbeiter ist seit vier Wochen nicht mehr ausgezahlt worden ...«
    »Fünf«, korrigierte Sherman.
    »Bist du sicher?«
    »Heute sind es fünf. Freitag ist Zahltag, zumindest war es mal so.«
    »Okay, dann also fünf Wochen. Wenn wir im Fall Raney einen Vergleich erzielen, müsste in einer Woche etwas Geld hereinkommen. Wir werden uns bemühen, die Rückstände zu begleichen.«
    »Wir verhungern schon nicht«, sagte Tabby, der einzige Single in der Kanzlei. Die anderen hatten Ehepartner mit Jobs. Obwohl das Geld schmerzhaft knapp war, schienen alle entschlossen, irgendwie durchzukommen.
    »Was ist mit der

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