Die Berufung
Familie Payton?«, fragte Vicky.
»Uns geht's gut«, antwortete Wes. »Du machst dir Gedanken, und ich weiß es zu schätzen, aber wir werden genauso durchkommen wie ihr. Ich habe es hundertmal gesagt, wiederhole es aber trotzdem. Mary Grace und ich bezahlen euch, sobald es uns möglich ist. Die Lage wird sich bald bessern.«
»Wir machen uns mehr Sorgen wegen euch«, fügte Mary Grace hinzu.
Niemand quittierte seinen Job. Niemand drohte.
Schon vor Längerem war eine Abmachung getroffen worden, wenn auch nicht schriftlich. Falls die Bowmore-Fälle Geld brachten, sollten alle in der Kanzlei davon profitieren. Vielleicht nicht zu gleichen Teilen, aber jeder wusste, dass er nicht leer ausgehen würde.
»Was ist mit der Bank?«, fragte Rusty. Es gab keine Geheimnisse zwischen ihnen. Alle wussten, dass Huffy am Vortag vorbeigeschaut hatte, und kannten die Höhe der Schulden bei Second State.
»Ich habe die Bank an die Leine gelegt«, entgegnete Wes. »Wenn sie nur ein bisschen mehr Druck macht, berufen wir uns aufs Konkursrecht, und sie guckt in die Röhre.«
»Ich bin dafür, die Bank in die Röhre gucken zu lassen«, sagte Sherman.
Alle schienen sich darin einig zu sein, dass die Bank sich zum Teufel scheren sollte, aber sie kannten die Wahrheit. Wenn Huffy sich nicht für sie eingesetzt und Mr Kirkhead davon überzeugt hätte, den Kredit aufzustocken, wäre es ihnen unmöglich gewesen, den Prozess durchzuziehen. Außerdem war ihnen klar, dass die Paytons nicht ruhen würden, bis die Schulden bei der Bank abbezahlt waren.
»Für den Fall Raney müssten wir eigentlich zwölftausend bekommen«, sagte Mary Grace. »Und weitere zehntausend für den Fall mit dem Hundebiss.«
»Vielleicht sogar fünfzehn«, warf Wes ein.
»Und dann?«, fragte Mary Grace. »Bei welchem Fall könnte danach was in die Kasse kommen?«
Alle dachten nach.
»Vielleicht Geeter«, sagte Sherman zögernd.
Wes schaute seine Frau an. Dann blickten beide ahnungslos in Shermans Richtung. »Wer ist Geeter?«
»Einer unserer Mandanten. Ist bei Kroger im Laden ausgerutscht und gefallen. Kam so vor acht Monaten zu uns.« Ratlose Blicke. Keine Frage, die beiden Anwälte hatten einen ihrer Mandanten völlig vergessen.
»Sagt mir gar nichts«, räumte Wes ein.
»Wie viel ist da drin?«, fragte Mary Grace.
»Nicht viel. Unsichere Rechtslage. Vielleicht zwanzigtausend. Sehen wir uns die Akte am Montag an.«
»Gute Idee«, sagte Mary Grace, bevor sie schnell das Thema wechselte. »Mir ist klar, dass die Telefonleitungen heiß laufen werden und dass wir definitiv pleite sind, aber wir werden trotzdem nicht jeden Fall annehmen. Finger weg von Grundstücksstreitigkeiten und Konkursen. Strafgerichtsprozesse nur, wenn sie sich auszahlen. Keine Scheidungen. Wir können ein paar schnelle Jobs für einen Tausender abwickeln, aber alles muss abgesprochen werden. Unsere Spezialität sind Schadenersatzklagen, und wenn wir uns zu sehr mit Kleinkram belasten, bleibt uns keine Zeit für die lukrativen Fälle. Noch Fragen?«
»Es rufen jede Menge Typen mit seltsamen Anliegen an«, sagte Tabby. »Aus dem ganzen Land.«
»Halt dich einfach daran, was gerade vereinbart wurde«, sagte Wes. »Wir können uns keine Fälle in Florida oder Seattle aufhalsen. Wir brauchen welche aus der Gegend, bei denen Hoffnung auf einen schnellen Vergleich besteht. Zumindest für das nächste Jahr.«
»Wie lange wird das Berufungsverfahren dauern?«, fragte Vicky.
»Anderthalb bis zwei Jahre«, antwortete Mary Grace. »Und wir können kaum etwas tun, um den Ablauf zu beschleunigen. Daran lässt sich nichts ändern, und deshalb ist es wichtig, dass wir an anderer Stelle Geld hereinholen.«
»Was mich zu einem anderen Punkt bringt«, sagte Wes. »Das Urteil verändert die Lage dramatisch. Erstens: Schon jetzt sind die Erwartungen an uns drastisch gestiegen, und die anderen Mandanten aus Bowmore werden uns bald ständig mit ihren Wünschen in den Ohren liegen. Sie wollen ihren großen Tag vor Gericht, wollen ein spektakuläres Urteil. Wir müssen geduldig sein, dürfen es aber nicht zulassen, dass diese Leute uns verrückt machen. Zweitens: Bald werden die Aasgeier in Bowmore auftauchen. Ein Anwalt nach dem anderen, auf der Jagd nach Mandanten. Sie rechnen hier mit einem gefundenen Fressen. Wenn ein anderer Anwalt Kontakt zu euch aufnimmt, sagt ihr sofort Bescheid. Drittens: Das Urteil setzt Krane noch mehr unter Druck. Jetzt werden ihre schmutzigen Tricks noch übler ausfallen. Sie
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