Die Berufung
Klingeln meldete sich eine barsche Stimme. »Grott.«
»Hier spricht Carl Trudeau, Senator Grott«, sagte er höflich. Er verhielt sich nur sehr wenigen Leuten gegenüber, ehrerbietig, doch Der Senator erwartete und verdiente Respekt.
»Ach ja, Carl«, kam die Antwort, als hätten sie etliche Male miteinander Golf gespielt, wären alte Kumpels. Die Stimme erinnerte Carl an die unzähligen Gelegenheiten, bei denen er Grott in den Fernsehnachrichten gesehen hatte. »Wie geht's Amos?«, fragte der Senator.
Der gemeinsame Bekannte, der Name, der erwähnt werden musste. »Großartig. Wir waren noch letzten Monat zusammen essen.« Das war gelogen. Amos war der wichtigste Teilhaber jener auf Unternehmensrecht spezialisierten Kanzlei, deren Mandant Carl seit zehn Jahren war. Es war nicht Grotts Kanzlei, sie hatte nichts damit zu tun. Aber Amos war ein wichtiger Mann, immerhin so wichtig, dass der Senator ihn erwähnte.
»Grüßen Sie ihn bitte von mir.«
»Gern.« Allmählich könnte er zur Sache kommen, dachte Carl.
»Ich weiß, dass Sie einen langen Tag hinter sich haben, und will Sie nicht aufhalten«, fuhr Grott fort, bevor er eine Pause einlegte. »Es gibt da einen Mann in Boca Raton, den Sie kennenlernen sollten, sein Name ist Rinehart, Barry Rinehart. Er ist eine Art Berater, aber im Telefonbuch finden Sie ihn nicht. Seine Spezialität sind Wahlen.«
Eine lange Pause, dazu fiel Carl nichts ein. »Okay, ich höre«, sagte er schließlich.
»Er ist kompetent, clever, diskret, erfolgreich und teuer. Wenn es überhaupt jemanden gibt, der an diesem Urteil etwas drehen kann, dann er.«
»Etwas drehen«, wiederholte Carl.
»Falls Sie Interesse haben, rufe ich ihn an. Dann steht Ihnen seine Tür offen.«
»Ja, ich habe definitiv Interesse.«
An dem Urteil etwas drehen. Das war Musik in seinen Ohren.
»Gut. Ich melde mich wieder.«
»Danke.«
Damit war das Telefonat beendet. Typisch Senator Grott. Leistung und Gegenleistung. Alle Beziehungen spielen lassen, so lief die Sache. Der Anruf war umsonst, doch eines Tages musste man bezahlen.
Carl rührte den Scotch mit dem Finger um und blickte auf die restlichen Anrufe. Nichts als Elend.
An dem Urteil etwas drehen, dachte er immer wieder.
Mitten auf seinem penibel aufgeräumten Schreibtisch lag ein Memo mit der Aufschrift VERTRAULICH. Waren nicht alle seine Memos vertraulich? Auf das Deckblatt hatte jemand mit einem schwarzen Marker PAYTON geschrieben. Er griff nach dem Schnellhefter, legte die Füße auf den Schreibtisch und blätterte ihn durch. Fotos, am Vortag geschossen, unmittelbar nach der Urteilsverkündung. Mr und Mrs Payton, das Gericht verlassend, Hand in Hand, ihren phänomenalen Sieg auskostend. Unter einem älteren Foto aus einer juristischen Zeitschrift fand sich eine Kurzbiograf ie von Mary Grace Payton. Geboren in Bowmore, Millsaps College, Fortsetzung des Jurastudiums an der University of Mississippi, zwei Jahre Referendariat im Staatsdienst, zwei als Pflichtverteidigerin, ehemalige Vorsitzende der Anwaltskammer des County, zugelassene Prozessanwältin, Mitarbeit im Elternbeirat der Schule, Mitglied der Demokratischen Partei und von ein paar Umweltschutzorganisationen.
Aus der gleichen Publikation stammten auch ein Foto und die Kurzbiograf ie von James Wesley Payton. Geboren in Monroe, Louisiana, Footballteam der University of Southern Mississippi, Jurastudium in Tulane, dreijährige Tätigkeit als stellvertretender Staatsanwalt, Mitglied aller möglichen Anwaltsvereinigungen, Rotarier, Civitan Club und so weiter.
Zwei Provinzanwälte, die gerade dafür gesorgt hatten, dass er aus der Forbes- Liste der vierhundert reichsten Amerikaner gestrichen wurde.
Zwei Kinder, eine illegale Einwanderin als Kindermädchen, öffentliche Schulen, Episkopalisten. Kurz vor der Zwangsvollstreckungsklage für Heim und Büro, knapp vor der Pfändung der beiden Autos. Eigene Kanzlei (keine anderen Teilhaber, nur Hilfskräfte), seit zehn Jahren bestehend und einst ziemlich profitabel (nach Kleinstadtmaßstäben). Nun in einem ehemaligen Ramschladen untergebracht, Mietrückstand mindestens drei Monate. Dann kamen die guten Nachrichten - hohe Schulden bei der Second State Bank, mindestens vierhunderttausend, für die es praktisch keine Sicherheiten gab. Keine Zahlungen seit fünf Monaten, nicht einmal für die Zinsen. Die Second State Bank war ein regional aktives Geldinstitut mit zehn Filialen im Süden Mississippis. Vierhunderttausend Dollar, einzig und allein zu
Weitere Kostenlose Bücher