Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Beschenkte

Die Beschenkte

Titel: Die Beschenkte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Cashore
Vom Netzwerk:
sofort, was geschehen war. »Ruf Raff!«, schrie sie Oll zu, der von der Seite aus zusah. Sie legte Bo auf den Boden, riss ihren Ärmel ab und versuchte den Blutstrom zu stillen, der ihm in die benommenen Augen rann. Nachdem Raffin ihm ein paar Tage später das Kämpfen wieder erlaubt hatte, bestand sie darauf, dass sie barfuß trainierten. Und wenn sie ehrlich war, achtete sie von da an auch mehr auf sein Gesicht.
    Fast immer trainierten sie mit Zuschauern, einigen Soldaten oder Gefolgsleuten und Oll, sooft er konnte, denn die Kämpfe machten ihm großes Vergnügen. Auch Giddon kam, obwohl er immer mürrisch zu werden schien, wenn er zusah, und nie lange blieb. Selbst Helda erschien gelegentlich als einzige Frau und saß mit großen Augen da, die immer größer wurden, je länger sie blieb.
    Randa ließ sich nicht blicken, was gut war. Katsa war froh über sein Bedürfnis, sie auf Abstand zu halten.
    An den meisten Tagen aßen sie nach dem Training zusammen, allein in ihrem Esszimmer oder in Raffins Arbeitsräumen mit ihm und Bann, manchmal auch an einem Tisch, den Raffin in Tealiffs Kammer gebracht hatte. Der Großvater war immer noch sehr krank, doch Gesellschaft schien ihn aufzumuntern und zu stärken.
    Wenn sie zusammensaßen und sich unterhielten, irritierten Bos Augen Katsa manchmal noch immer. Sie konnte sich einfach nicht an seine Augen gewöhnen, sie machten siekonfus. Aber sie begegnete seinem Blick, wenn er sie anschaute, und sie zwang sich ruhig zu atmen, weiterzureden und Fassung zu wahren. Es waren schließlich nur Augen, seine Augen, und sie war kein Feigling. Außerdem wollte sie sich ihm gegenüber nicht so benehmen, wie es alle am Hof ihr gegenüber taten, indem sie krampfhaft den Blick in ihre Augen vermieden. Das wollte sie einem Freund nicht antun.
    Denn er war ein Freund, und in den letzten Sommerwochen war Katsa zum ersten Mal in ihrem Leben zufrieden an Randas Hof. Es war ein Ort mit guter harter Arbeit geworden, ein Ort für Freunde. Olls Spione arbeiteten unentwegt und versuchten auf ihren Reisen nach Nander und Estill so viel wie möglich zu erfahren. Die Königreiche hielten erstaunlicherweise Frieden. Die Hitze und die schwüle Luft schienen Randas Grausamkeit zusätzlich einzuschläfern, aber vielleicht war er auch nur durch die Flut von Nahrungsmitteln und Waren abgelenkt, die wie immer um diese Jahreszeit von allen Handelsstraßen die Stadt überschwemmte. Was der Grund auch sein mochte, Randa befahl Katsa jedenfalls nicht, einen seiner scheußlichen Aufträge auszuführen. Katsa wagte es zum Ende des Sommers sogar, sich zu entspannen.
    Nie gingen ihr die Fragen an Bo aus.
    »Woher kommt eigentlich dein Name?«, fragte sie ihn eines Tages, als sie in der Kammer seines Großvaters saßen und sich leise unterhielten, um ihn nicht zu wecken.
    Bo legte ein Tuch mit Eis um seine Schulter. »Welcher? Ich habe eine Menge zur Auswahl.«
    Katsa griff über den Tisch und half ihm, das Tuch enger zu binden. »Bo. Nennen dich alle so?«
    »Meine Brüder gaben mir diesen Namen, als ich klein war.Es ist eine Baumart in Lienid, der Bobaum. Im Herbst färben sich seine Blätter silbern und golden. Ein unvermeidlicher Spitzname, nehme ich an.«
    Katsa brach sich ein Stück Brot ab. Sie fragte sich, ob ihm der Name in Liebe gegeben worden war oder als Versuch von Bos Brüdern, ihn zu isolieren – damit er nie vergaß, dass er ein Beschenkter war. Sie sah ihm zu, wie er Brot, Fleisch, Obst und Käse auf seinen Teller lud, und lächelte, als das Essen fast so schnell verschwand, wie es aufgestapelt worden war. Katsa konnte viel essen, aber Bo übertrumpfte sie noch.
    »Wie ist es, wenn man sechs ältere Brüder hat?«
    »Ich glaube nicht, dass es für mich so war wie für die meisten anderen«, sagte er. »Wer im unbewaffneten Kampf gut ist, wird in Lienid sehr geachtet. Meine Brüder sind hervorragende Kämpfer, aber natürlich konnte ich mich immer mit ihnen messen, auch als ich klein war – und allmählich einen nach dem anderen übertreffen. Sie behandelten mich wie ihresgleichen, wie mehr als ihresgleichen.«
    »Und waren sie auch deine Freunde?«
    »Oh ja, besonders die jüngeren.«
    Vielleicht war es leichter, ein Beschenkter und noch dazu ein Kämpfer zu sein, wenn man ein Junge war oder in einem Königreich lebte, das Sieger im Nahkampf achtete, vielleicht hatte sich Bos Gabe auch weniger dramatisch angekündigt als die von Katsa. Vielleicht hätte auch Katsa in sechs älteren Brüdern sechs

Weitere Kostenlose Bücher