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Die Beschenkte

Die Beschenkte

Titel: Die Beschenkte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Cashore
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ersetzte?
    Katsa erschauderte, denn bald würde sie diesem König begegnen. Sie war nicht sicher, ob vielleicht sogar sie wehrlos war gegen einen Mann, dem es gelang, sie so zu täuschen, dass sie an seine Unschuld glaubte.
    Ihr Blick folgte Bos dunklem Umriss vor der schwarzen Tür. Sie konnte nur sein weißes Hemd sehen, jetzt ein schimmerndes Grau. Sie wünschte sich plötzlich, sie könnte ihn sehen. Er stand auf und zog sie hoch, schob sie ans Fenster und schaute hinunter auf ihr Gesicht. Im Mondlicht sah sie einen Schimmer in seinem silbernen Auge und ein Leuchten im Gold an seinem Ohr. Sie wusste nicht, warum sie solche Angst gehabt hatte oder warum die Umrisse seiner Nase und seines Mundes oder der Ernst in seinen Augen sie trösteten.
    »Was ist?«, fragte er. »Was bedrückt dich?«
    »Wenn Leck diese Gabe hat, wie du befürchtest …«, begann sie.
    »Ja?«
    »… wie kann ich mich vor ihm schützen?«
    Er betrachtete sie ernst. »Nun, das ist einfach«, sagte er. »Meine Gabe wird mich vor ihm schützen. Und ich werde dich schützen. Du wirst sicher sein mit mir, Katsa.«
    Als sie im Bett lag, wirbelten die Gedanken wie ein Sturm durch ihren Kopf, doch sie befahl sich einzuschlafen. Im nächsten Moment legte sich der Sturm. Sie schlief unter einer Decke der Stille.

Vom Gasthof oder von jedem anderen Ort in Sunder aus gab es zwei Reisemöglichkeiten nach Leck City. Der eine Weg führte nach Süden zu einem der Häfen von Sunder und dann per Segelschiff südöstlich nach Monport, der westlichsten Hafenstadt der Halbinsel von Monsea, von wo eine Straße gen Norden nach Leck City in der Ebene östlich von Monseas höchstem Gipfel führte. Diese Route wurde von Händlern mit ihren Waren gewählt und von Gruppen mit Frauen, Kindern oder älteren Menschen.
    Der andere Weg war kürzer, aber schwieriger. Er führte südöstlich durch den Wald von Sunder, der immer dichter und wilder wurde, und stieg zu den Bergen an, die Monseas Grenze nach Sunder und Estill bildeten. Der Pfad wurde zu steinig und holprig für Pferde. Wer über den Berg wollte, reiste zu Fuß. In den beiden Gasthöfen auf jeder Seite des Passes wurden die Pferde derer gekauft oder untergestellt, die in die Berge reisten, und an jene verkauft oder zurückgegeben, die aus den Bergen kamen. Das war der Weg, für den sich Katsa und Bo entschieden.
    Leck City lag etwa eine Tageswanderung unter dem Bergpass; sogar weniger, wenn sie neue Pferde kauften. Der Wegzur Stadt wand sich durch üppige Täler, die das Wasser von den Berggipfeln so fruchtbar gemacht hatte. Die Landschaft mit ihren Flüssen und Bächen glich dem Landesinneren von Lienid, sagte Bo, jedenfalls hatte die Königin von Monsea sie so beschrieben. So etwas hatte Katsa noch nie gesehen.
    Während sie dahinritten, gab sich Katsa nicht damit zufrieden, sich die seltsamen Landschaften vorzustellen, die sie bald sehen würde. Denn seit sie am Morgen im Gasthof in Sunder erwacht war, wirbelte der Sturm aus der Nacht zuvor wieder ihre Gedanken durcheinander.
    Bos Gabe würde ihn vor Leck schützen. Und Bo würde sie schützen.
    Mit Bo würde Katsa sicher sein.
    Das hatte er so einfach gesagt, als wäre es nichts. Aber für Katsa war es etwas ganz Neues, sich auf den Schutz eines anderen zu verlassen. Noch nie in ihrem Leben hatte sie so etwas getan.
    Und außerdem, wäre es nicht einfacher für sie, Leck sofort zu töten, noch bevor er ein Wort gesprochen oder einen Finger gehoben hatte? Oder ihn zu knebeln, zu lähmen, irgendwie zu entmachten? Die Kontrolle zu behalten und ihre eigene Abwehr zu sichern? Katsa brauchte keinen Schutz. Es musste eine Lösung geben, eine Möglichkeit, sich selbst vor Leck zu schützen, wenn er tatsächlich die Gabe hatte, die sie befürchteten. Sie musste sich nur etwas einfallen lassen.
    Spät am Morgen begann es zu tröpfeln. Bis zum Nachmittag hatte sich das Nieseln in einen kalten, anhaltenden Regen verwandelt, der auf sie herunterprasselte und ihnen die Sicht auf den Waldweg nahm. Schließlich hielten sie völlig durchnässt an und überlegten, wo sie vor Einbruch der Dunkelheit einen Unterschlupf finden könnten. Das Baumgewirr zu beiden Seiten des Wegs bot eine gewisse Deckung. Sie banden die Pferde an eine große Kiefer, die nach ihrem Saft duftete; er tropfte mit dem Regenwasser von den Ästen. »Einen trockeneren Platz finden wir nicht«, sagte Bo. »Ein Feuer ist unmöglich, aber wenigstens schlafen wir nicht im Regen.«
    »Ein Feuer ist nie

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