Die Beschleunigung der Angst
Und
wenn ich wählen könnte, würde ich lieber in den Bau wandern, als dass Xerxes‘
Schergen mir zeigen, was sie mit Verrätern machen.« Marco zeigte auf Karla und
Daniel, schließlich auf Kurt. »Nein, wir machen, wie er uns befohlen hat. Wir
beseitigen die Drei und verscharren sie. Dann machen wir weiter wie geplant.«
Yvonne lief ein paar
Schritte rückwärts. Sie sah ihren Liebhaber an, als hätte er sie geschlagen.
Daniel hatte Bedenken, dass
Karla nach dieser Aussage wieder zu hyperventilieren beginnen würde, doch sie
blieb äußerlich unbewegt.
Es war doch zum Heulen, wenn
einen die Ankündigung seines eigenen Todes nicht mehr dazu brachte,
auszuflippen, um sich zu schlagen und sich die Seele aus dem Leib zu brüllen.
Doch auch er blieb ruhig. Und Kurt? Der sowieso. Er beobachtete alles aus
seinen unterlaufenen Augen und sah noch nicht mal unglücklich aus. Nur genervt.
Yvonne senkte die Stimme,
war aber dennoch zu verstehen.
»Du willst sie tatsächlich
umbringen?« Sie klang wie eine Frau, die nach Jahrzehnten des Zusammenlebens
feststellen muss, dass ihr Mann ein Serienmörder oder zumindest ein notorischer
Fremdgeher ist.
Marco nickte. Auch er sprach
leiser.
»Du hast gehört, was Xerxes
gesagt hat. Es ist zu gefährlich.«
»Aber wir können mit ihnen
sprechen, sie schwören lassen, dass sie nichts sagen. Wir hauen ab, lassen sie
hier und verständigen nach einem oder zwei Tagen die Polizei.«
Marco stand auf und zeigte
auf Kurt.
»Das ist ein Bulle, weißt du
noch? Er wird uns jagen. Und wir haben genug Bullen am Arsch kleben. Xerxes hat
recht.«
»Das dürfen wir nicht. Das
ist es nicht wert.«
Marco griff sie wieder an
den Schultern.
»Hör zu. Mir gefällt es
genau so wenig wie dir, aber es muss sein. Wenn wir jetzt abbrechen, werden wir
bald so tot sein wie Keiler. Nur, dass wir vorher noch Unvorstellbares
durchgemacht und um unseren Tod gefleht haben, bis uns die Stimmbänder gerissen
sind. Wir müssen weitermachen. Auch Keiler zuliebe. Er soll nicht umsonst
gestorben sein.« Er ging zu Yvonne und packte sie an den Oberarmen. »Wir müssen
uns zusammenreißen. Wir kommen da durch! Aber wir müssen zusammenhalten!«
Yvonne löste sich aus seinem
Griff.
»Ich muss einen Moment
allein sein«, sagte sie. »Ich ... ich gehe kurz auf den Hof. Lass mich nur
einen Moment alleine darüber nachdenken. Ist das in Ordnung?«
Marco ging einen Schritt auf
sie zu.
»Yvonne ...«
»Nein. Ich möchte alleine
sein. Nur für ein paar Minuten. Ich muss mir erst über alles klar werden.«
Damit drehte sie sich um und
ging durch die zerstörte Tür in den Flur. Ihre Schritte verklangen, während sie
durch den Gang zur Eingangshalle lief.
»Lass dir nicht zu viel
Zeit«, rief er ihr hinterher. »Wir haben noch einen weiten Weg vor uns. Du
musst mir vertrauen!«
Marco hatte keine Haare auf
dem Kopf, die er sich hätte raufen können, aber so wie es aussah, hätte er es
zu gerne Yvonne nachgetan. So verschränkte er die Hände an seinem Hinterkopf,
lief auf und ab, während er auf seine Komplizin wartete. Nach einigen Minuten
griff er den Rucksack. Er ging zur Matratze, suchte sich einen Platz, der nicht
mit Piets Blut verschmiert war, und setzte sich. Daniel hörte das Sirren des
Reißverschlusses, als Marco den Sack öffnete. Der Gesichtsausdruck des Mannes
änderte sich, als er den Inhalt des Rucksacks begutachtete. Zuerst las Daniel
eine gewisse Vorfreude in den Zügen des großen Mannes, dann Verwirrung, die in
Bestürzung und schließlich zu Wut wechselte.
Mit beiden Händen griff
Marco ins Innere des Sacks und förderte säuberlich in Streifen geschnittenes
Papier zutage.
»Dieser rotäugige
Hurensohn«, flüsterte Marco. Daniel erkannte, dass der Hüne Mühe hatte, die
Fassung zu bewahren.
»Dieser dreckige Hurensohn
hat uns verarscht!«
Und dann brach es doch aus
ihm heraus. Er packte den Rucksack und warf ihn ebenso wie Yvonne vor ihm an
die Wand. Papierschnipsel fielen aus der Tasche und segelten wie die traurigste
Konfettiparade aller Zeiten zu Boden. Marco griff zwei Handvoll Papier und
zerriss es, ganz offensichtlich seiner geistigen Zurechnungsfähigkeit beraubt
und nicht Herr seiner Sinne. Da war er wieder, der andere Marco.
Dann lehnte er sich mit
seinen Händen an die Wand und atmete tief durch. So musste er einige Minuten
gestanden haben, als Yvonne in der Tür stand, eine Pistole in der Hand. »In
Ordnung, mein Schatz. Ich vertraue dir.« Sie lud die Waffe durch »Und nun
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