Die Beschleunigung der Angst
Handfesseln
löse ich dir draußen.«
Marco griff Daniel unter
einer Achsel, zog ihn hoch. Daniel brauchte eine Sekunde, um sicheren Stand zu
haben und seine Beine kribbelten, als liefen Insekten durch seine Adern.
Marco gab ihm einen Stoß.
Daniel drehte den Kopf zu
Karla.
»Bis gleich«, sagte er und
setzte sich in Bewegung.
Als wenn er daran glaubte.
Doch er würde kämpfen.
Kapitel 21
Wieder durch den Saal in den
graffitiübersäten Flur, wieder ein Waffenlauf im Rücken. Die Insekten in
Daniels Beinen waren in ihre Nester zurückgekehrt, und die Taubheit war
verschwunden. Überhaupt ging es ihm erstaunlich gut in Anbetracht der
Ereignisse dieser Nacht. Natürlich schmerzten seine Handgelenke, und seine
verspannten Muskeln schrien nach einer Massage, aber seine Rippen brüllten
nicht mehr bei jedem Atemzug, und auch ansonsten fühlte er sich fit.
Viel zu fit um den Löffel
abzugeben, wie er fand.
»Es gelten die gleichen
Spielregeln wie vorhin. Baust du Scheiße, bist du tot. Einfach, oder?«
»Ja.«
Daniels Gedanken fuhren
Kopfkarussell, blitzten auf und wurden vom nächsten Bild abgelöst. Optionen und
Möglichkeiten rotierten in seinem Schädel, Chancen und Risiken, Wagnisse und
Alternativen. Doch nichts dabei, was sich festsetzte, keine Eingebung, die wie
ein Neonschild aufleuchtete, das Karussell zum Stehen brachte und ihm eine
Lösung zeigte.
Was konnte er tun? Er hatte
kooperiert und einen Polizeiwagen in einen beschissenen schlammverschmierten
Swimmingpool gefahren. Es hatte ihm nichts eingebracht. Nein, brave
Zusammenarbeit hatte ihm wirklich nicht weitergeholfen. Sah man davon ab, dass
er seine Exekution um einige wenige Stunden aufgeschoben hatte.
Er sollte trotzdem sterben,
umgebracht, weil er einer jungen Frau hatte helfen wollen. Immerhin war das ein
guter Grund abzutreten. Schlechter, als beim Sex eine Herzattacke zu erleiden,
aber auf jeden Fall besser, als im Büro von einem Herzanfall dahingerafft zu
werden.
Einen Fehler durfte er
jedoch nicht begehen. Aufzugeben. Er durfte sich nicht im Selbstmitleid suhlen
wie ein Ferkel in der Schlammgrube. Außerdem zählte Karla auf ihn.
Nach der Biegung des Flurs
erreichten sie die Eingangshalle. Rechts öffnete sich der Treppenaufgang zu den
Dienstmädchenräumen wie ein gähnender Schlund, der das Kerzenlicht absorbierte
und in Dunkelheit umwandelte. Aus seinen jugendlichen Erkundungsgängen wusste
er, dass sich die schmalen Stufen einen gewundenen Aufstieg emporschlängelten.
Der erste Stock war schon damals baufällig gewesen, und er vermutete, dass wenn
er es die Treppe hochschaffen würde, er in dem verwinkelten Grundriss ein
Versteck finden könnte.
Doch selbst wenn er der
Sportliche von beiden gewesen wäre und nicht derjenige mit dem Bauchansatz, der
Fußball nur noch aktiv auf der Couch betrieb, blieb immer noch die Sache mit
der Waffe. Wie Marco früher in der Nacht so treffend formuliert hatte, konnte
kein Auto schneller fahren, als eine Pistolenkugel flog, und von schneller
laufen konnte schon mal gar keine Rede sein, noch dazu mit verbundenen Händen.
Und dass Marco ihn in diesem engen Treppenaufgang verfehlen würde, war
ebenfalls sehr unwahrscheinlich. Verdammt, ein an Parkinson erkrankter Maulwurf
würde ihn dort abknallen können.
Die Waffenmündung drückte
ihm wieder ins Kreuz, nötigte ihn durch die Eingangstür und die Stufen in den
Hof hinab.
Er trat durch die Haustür in
die Nacht. Der Mond war weitergewandert, schien aber noch ebenso hell wie
vorhin, als er den Polizeiwagen umgeparkt hatte. Daniel schätzte es auf etwa
halb vier Uhr. Der nächste Morgen war nicht mehr als ein fernes Versprechen,
das sich für ihn nicht mehr einzulösen drohte.
Okay, weglaufen war keine
Option. Zeit, eine andere Taktik zu versuchen.
»Ist nicht gut gelaufen
heute, oder?«
Daniel drehte den Kopf über
die Schulter, sah an einer tunnelgroßen Mündung und poliertem Stahl entlang bis
in Marcos angespanntes Gesicht.
»Dreh dich um.«
Daniel gehorchte. Na ja, es
war ein Versuch gewesen. Sie gingen schweigend weiter. Dann antwortete Marco
doch.
»Das kann man wohl sagen. Es
ist verdammt nochmal alles aus dem Ruder gelaufen. So eine Scheiße!«
Die Kiesel des Hofs knirschten
unter ihren Sohlen. Marco leuchtete Daniel den Weg mit einer Taschenlampe,
obwohl der Mond hell genug war.
»War Keiler ein guter Freund
von dir?«
Daniel machte sich bereit,
einen Waffenkolben über den Schädel gezogen zu bekommen oder gleich
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