Die Beschützerin
einen guten Appetit zu haben. Sie nahm sich sogar eine zusätzliche Portion Reis zu ihrem Rindfleisch mit Gemüse. Immer wieder warf sie mir besorgte Blicke zu. »Was kann ich nur tun, um Sie aufzumuntern? Sie nehmen sich das alles viel zu sehr zu Herzen. Klar, von Hirten spielt foul, aber er steht eben auch selbst sehr unter Druck.«
Erwartete sie, dass ich nun Verständnis für meinen Chef zeigen würde? Das konnte nicht ihr Ernst sein.
»Ich verrate Ihnen was, aber das muss unser Geheimnis bleiben«, sagte sie. »Mit von Hirten müssen Sie sich nicht mehr lange herumschlagen.«
»Wieso glauben Sie das? Er hat seine Position gerade gefestigt. Ich bin diejenige, die sich blamiert hat.«
»Ich stehe mit einigen der Top-Headhunter in Kontakt. Und ich habe gehört, dass er sich ins Gespräch gebracht hat. Er ist auf dem Absprung.«
Für diese Information war ich ihr dankbar. Auch wenn ich nicht verstand, warum sie mich einweihte. Hoffentlich behielt sie recht, und er war bald weg, so weit wie möglich!
»Nun essen Sie erst mal», sagte sie. »Und denken Sie nicht dauernd an diese dumme Präsentation. Vorbei ist vorbei. Es gibt Schlimmeres. Entscheidend ist, dass wir nun ein funktionierendes Konzept haben. Dass das Projekt gerettet ist. Das ist doch das Wichtigste.« Sie goss mir Mineralwasser nach. »Nun machen wir mal Pause von Alfa.Sat. Und reden über angenehme Dinge. Ich finde ja, Sie haben ein Händchen für Mode. Wie kommen Sie immer an diese ausgefallenen Accessoires? Dieses Tuch ist wunderschön. Ein Türkis wie das Meer auf den Malediven. Es bringt Ihre Augen zum Leuchten. Wo finden Sie so etwas? Mögen Sie den Kuâdamm? Oder die FriedrichstraÃe? Oder gehen Sie zu irgendeinem Modedesigner in Prenzlauer Berg?«
Ich rieb mir über die Augen. Ich konnte ihrem Geplapper kaum folgen, geschweige denn an irgendwelche Modefragen denken. Mein Kopf schmerzte, fühlte sich dumpf und betäubt an. Ich berührte das Tuch, das noch immer einen Hauch des typischen Geruchs nach Mottenkugeln in sich trug, obwohl ich es gleich gewaschen hatte. »Das hier ist aus einem Second-Hand-Laden«, meinte ich geistesabwesend.
»Im Ernst?« Sie machte groÃe Augen. Dann lachte sie. »Sie sind wirklich eine Individualistin!«, rief sie aus. »Im Gegensatz zu mir. Dieser Dresscode bei Bloomsdale ist so langweilig. Immer Grau und Schwarz und Schwarz und Grau. Das Höchste der Gefühle ist mal Dunkelblau.«
Ihre gute Laune ging mir auf die Nerven. Warum saà ich hier mit dieser Frau? Alle meine Probleme hatten mit dem Auftauchen von Bloomsdale Consulting angefangen. Ich war sicher, Vanessa Ott und Mark Winter hatten sich gegen den Smiling Kids Day ausgesprochen. Vielleicht war sogar Vanessa Ott die treibende Kraft im Bloomsdale-Team gewesen, die das Sparkonzept gefordert hatte. Und jetzt machte sie Smalltalk, als wäre nichts passiert.
Ich legte mein Besteck auf den fast vollen Teller. »Warum sorgen Sie dafür, dass ein erfolgreiches Projekt wie der Smiling Kids Day zerstört wird?«
Vanessa Ott zog fast unmerklich die Augenbrauen hoch. »Frau Amelung, da missverstehen Sie etwas. Ich bin auf Ihrer Seite.« Sie begegnete meinem Blick, und ich gab mir keine Mühe, mein Misstrauen zu verbergen. »Ich will versuchen, es Ihnen zu erklären. Sie sehen nur Ihren Bereich, Ihre Abteilung. Wir aber sind mit der Neuaufstellung des gesamten Senders beauftragt. Ich darf eigentlich noch nicht darüber sprechen, aber â¦Â«, sie zögerte, »wir beide können uns vertrauen, nicht wahr?« Sie wartete, bis ich nickte. »Es wird eine neue inhaltliche Strategie geben. Radikal. Das Gesicht des Senders soll sich verändern. Ein neues Logo. Neue Slogans. Alfa.Sat muss weg von dem Hausfrauenimage.«
»Und eine jährliche Spendengala, die nachweislich viel Gutes bewirkt und vom Publikum angenommen wird, passt nicht mehr zum Gesicht des Senders?«, fragte ich kühl.
Vanessa Ott seufzte leise. »Die Zuschauer des SKD sind durchschnittlich über fünfzig. Diese Art von Charity, auch die Verknüpfung mit Klassikkonzerten, das ist altbacken. Der Sender muss die junge Zielgruppe erreichen, wir müssen hipper sein, sonst fehlen bald die Werbeeinnahmen.« Vanessa Ott sah mich prüfend an. »Ich möchte Ihnen einen Rat geben, weil ich Sie mag. Machen Sie nicht den Fehler, sich gegen die Zukunft
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