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Die Beschützerin

Die Beschützerin

Titel: Die Beschützerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Kliem
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wär ich weg. Wäre er doch dageblieben, bei seiner Marianne.« Mamas Ton wird schriller: »Du bist an allem schuld! Starr mich nicht so an! Verschwinde ins Bett. Verschwinde …«
    Warum kamen mir immer nur diese schrecklichen Erinnerungen, wenn ich an meine Mutter dachte? Ich versuchte, mich an liebevolle, schöne Situationen mit ihr zu erinnern. Oft war sie mit mir einkaufen gegangen. Es war ihr wichtig gewesen, dass ich gut angezogen war. Ich sollte hübsch aussehen. Schon als kleines Mädchen hatte ich das lange rotblonde Haar gehabt, und manchmal, vor dem Einschlafen, hatte sie es mir gebürstet. Aber das hatte sie nicht für mich getan, sondern für die Nachbarn, die Bekannten, die Frau an der Kasse im Supermarkt. Alle sollten denken, wir wären eine perfekte, glückliche Familie. Niemand Fremdes sollte merken, dass sie unglücklich war. Nur ich, ich hatte es täglich zu spüren bekommen. Bis heute gab sie mir die Schuld an ihrem Schicksal. »Wenn du nicht gewesen wärest, hätte ich gehen können … «
    Später hatte ich meine Mutter innerlich immer in Schutz genommen. Sie hatte die Geliebte meines Vaters ja nicht erfunden. Es hatte diese Marianne gegeben. Aber es war schon so lange her, ich war ein Baby gewesen. Als ich älter wurde, hatte ich versucht, böse auf meinen Vater zu sein, doch das war mir nie gelungen. Er war einfach ein warmherziger, fröhlicher Mensch gewesen, der von allen gemocht wurde. Und meine Mutter sprach auch nie mehr mit ihm über die alte Geschichte, machte ihm keine Vorwürfe, zumindest nicht laut. Sie litt stumm vor sich hin, war oft ablehnend und aggressiv, auch zu ihm. Warum hatte sie ihm nicht verzeihen können? Irgendwann hatte ich begonnen, mich zu fragen, warum er nicht wegging. Sie verließ. Vielleicht war er meinetwegen geblieben.
    Trotzdem liebte ich meine Mutter. Trotz all der Verletzungen war das so. Und ich hoffte noch immer darauf, dass sich unser Verhältnis ändern könnte. Das kleine Mädchen in mir wollte von ihr geliebt werden. Es lernte nicht dazu. Obwohl mein Verstand mir sagte: Hör auf, darauf zu hoffen, sie kann es nicht, sie ist depressiv. Krank. Und das geht nicht von alleine weg.
    Ich musste sie anrufen, schon zu lange hatte ich mich nicht mehr gemeldet. Gleich morgen früh …
    Ich wurde schläfrig. Das Holz des Rumpfes speicherte die Wärme der letzten Tage. Gregor hatte mir im Frühling geholfen, den Rumpf zu schleifen und neu zu lackieren. Wir hatten Blaumänner angehabt und waren von Kopf bis Fuß von dem Schleifstaub bedeckt gewesen. Zu Hause hatten wir uns zusammen unter die Dusche gestellt. Dann hatte ich mich aufs Bett gelegt, und er hatte meine Schulter massiert, von der ungewohnten Arbeit hatte sie mir wehgetan. Heftig ergriff mich die Sehnsucht nach ihm. Ich richtete mich auf. Beleidigt zu sein, sich nicht zu melden, das kam mir so sinnlos vor. Wir mussten uns aussprechen. Ich nahm mein Handy und schrieb: »Bin auf dem Boot und denke gerade an dich. Du fehlst mir.« Den Finger schon auf der Sendetaste zögerte ich. Wenn er wieder nicht antworten würde? Seine Nachricht auf meinem Anrufbeantworter ging mir durch den Kopf.»Falls du versucht hast, mich zu erreichen«, hatte er gesagt. Hieß das nicht, er wartete auf ein Zeichen? Ich wollte nicht länger allein sein, ich brauchte Gregor, der mich in den Arm nahm. Gregor, dem ich bedingungslos vertraute. Ich drückte auf »Senden«. Fast sofort piepte das Gerät: »Gesendet«.

6
    Zum ersten Mal seit Wochen hatte der Himmel seine Farbe gewechselt. Es war drückend warm, und eine graue Wolkendecke hing so tief, dass ich das Gefühl hatte, es gäbe kaum Luft zum Atmen. Obwohl es schon auf neun Uhr zuging, fühlte ich mich nicht ausgeschlafen. Ich holte mir im Hotel einen Milchkaffee im Pappbecher, lief zurück zum Boot, warf den Motor an und fuhr aus dem Hafen. Kein Windhauch war zu spüren. Ich bog um die steinerne Hafenmole herum, an dem kleinen Hotelstrand vorbei auf das Schiffswrack zu, das wie ein Mahnmal aus Stahl und Eisen aus dem Wasser ragte. Hier begann eine lang gestreckte Sandbank, die Lieps, auf dem immer wieder Boote strandeten. Der Boden war hell, ab und zu tauchten grüne Flecken von Wasserpflanzen auf. Ich schaltete in den Leerlauf, warf den Anker ins Wasser und ließ das Boot langsam rückwärtsfahren, bis er sich im Boden vergraben hatte. Ich

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