Die bessere Hälfte - warum nur Frauen die Wirtschaft nach vorn bringen
Segmente aufzuteilen und nicht ganzheitlich zu betrachten; aus seiner Sicht hatten Einsichten aus dem Privatleben im Geschäftsleben keinen Platz. Das Ergebnis dieser beschränkten Wahrnehmung war eine verpasste Chance. Im Rückblick wünschte sie sich, ihre Idee mit mehr Nachdruck vertreten zu haben.
Aufs Beobachten programmiert
Was ist für die unterschiedliche Art, wie Männer und Frauen beobachten, verantwortlich? Warum ergänzen wir uns auf diese Weise? Ist es auf unsere Sozialisation oder auf etwas Grundlegenderes zurückzuführen? Neuere wissenschaftliche Erkenntnisse aus der kognitiven und sozialen Psychologie lassen darauf schließen, dass unsere unterschiedlichen Beobachtungsstile eine biologische, ebenso wie eine kulturelle Ursache haben könnten.
Funktionale MRTs beispielsweise zeigen uns, dass Männer (im Durchschnitt) über mehr »graue Substanz« im Gehirn verfügen als Frauen, Frauen hingegen weisen mehr »weiße Substanz« auf als Männer. 6 Die graue Masse besteht aus Nervenzellen, die Informationen verarbeiten, während die weiße Substanz aus Nervenfasern, den Axonen, bestehen, die die Verarbeitungszentren miteinander |78| verbinden. Die graue Substanz liefert die neurale Energie, die erforderlich ist, um Funktionen wahrzunehmen, die in einer einzigen Gehirnregion stattfinden; die weiße Substanz verteilt und integriert die Information in verschiedene Teile des Gehirns. 7 Durch mehr Axone besitzen weibliche Gehirne mehr Integrations- und Verbindungspunkte, wodurch wiederum mentale Aktivitäten gleichzeitig in der linken und der rechten Gehirnhälfte stattfinden können. Das ist der physiologische Hauptgrund, warum Frauen häufiger Ressourcen aus der rechten Gehirnhälfte – wie Intuition – in Situationen einbringen, die eigentlich der linken Gehirnhälfte vorbehalten wären. Für Frauen sind Logik und Intuition weniger voneinander getrennt.
Die Aufnahmen vom Gehirn zeigen zudem, dass Menschen Informationen in der Großhirnrinde verarbeiten, die bei Frauen größer ist, mehr Input bekommt und sich in einem früheren Lebensstadium entwickelt. 8 Da dieser Teil des Gehirns Erinnerungen und Gefühle reguliert, werden weibliche Wahrnehmungen häufiger von ihren Gefühlen beeinflusst. Für Frauen ist Subjektivität ein integraler neuraler Aspekt der Wahrnehmung. Die weibliche Fähigkeit, Informationen zu verarbeiten, steigert sich also in dem Maße, in dem ihre Gefühle aktiviert werden.
Sue Lovell, Fachleiterin der Naturwissenschaftlichen Abteilung an der Miss Hall’s School in Pittsfield, Massachusetts, nutzt diese Erkenntnisse im Unterricht zu ihrem Vorteil. Sie sagt: »Wenn ich meinen Schülerinnen den Auftrag erteile, sich einen Ball vorzustellen, der eine Rampe herunterrollt oder am Ende eines Pendels hin und her schwingt, muss ich feststellen, dass viele einfach abschalten, |79| weil es keinen Grund gibt, sich dafür zu interessieren. Aber wenn ich das gleiche Problem in andere Bilder fasse – ein Hund rennt einen Hügel hinunter, geradewegs auf eine befahrene Straße zu oder ein Kind, das auf der Schaukel spielt –, dann fesselt das ihre Aufmerksamkeit und
ent
fes selt ihre Fähigkeit zur Problemlösung.« 9 Lovell weist darauf hin, dass Mädchen, die ohnehin gut in Mathematik oder Naturwissenschaften sind, einen solchen Bezugsrahmen nicht nötig haben, aber andere profitieren durchaus, und ihre Fähigkeit, Gleichungen zu lösen, verbessert sich.
Natürlich sind auf biologischen Gegebenheiten beruhende Unterschiede immer relativ und gehen mit zahllosen individuellen Variationsmöglichkeiten einher. Und da sowohl Männer als auch Frauen die Fähigkeit besitzen, sogar langjährige Verhaltensmuster zu verändern, wäre es sowohl ungenau als auch unfair, die Geschlechter in einen allzu deterministischen Rahmen zu pressen. Neue Erfahrungen geben unserem Gehirn die Möglichkeit, neue neurale Pfade zu bilden, was bedeutet, dass unsere Fähigkeiten sich in dem Maße weiterentwickeln wie unsere Lebensumstände sich ändern. Vor dem Hintergrund der menschlichen Anpassungsfähigkeit und unserem Vermögen, bewusste Entscheidungen zu treffen – was man auch als freien Willen bezeichnet – kann die Annahme, dass eine Verhaltensweise »angeboren« sei, irreführend sein.
Doch objektiv beobachtbare biologische Unterschiede sind
tatsächlich
dafür verantwortlich, wie viele Männer und Frauen Informationen sammeln und verarbeiten. Das wiederum hat Einfluss darauf, was wir wahrnehmen. Da die meisten
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