Die bessere Hälfte - warum nur Frauen die Wirtschaft nach vorn bringen
gezwungen wurden.
Die Händler bei Enron nutzten komplexe mathematische Formeln, um ihre ausschließlich fremdfinanzierten Wetten zu rechtfertigen. Die Undurchdringlichkeit dieser abstrakten Formeln sorgte nicht gerade für Transparenz und ermöglichte es dem Unternehmen, jahrelange Verluste zu verschleiern. Wenn Außenseiter Fragen stellten, schleuderte man ihnen Unmengen komplexer Gleichungen entgegen. Wer nicht klug genug war, sie zu verstehen, der |66| sollte sich doch bitteschön auch mit den Fragen zurückhalten. Wie sich später herausstellte, bestand jedoch der wahre Zweck dieses Verhaltens darin, die Firma möglichst lang zu erhalten, um bis zu ihrem Ende maximale Profite herauszuwirtschaften. Darauf basiert dieses Denkmodell: Maximaler Gewinn verursacht eine Schneise der Verwüstung, deren Verursacher sich schnellstens aus dem Staub machen. Dieser Ansatz ist der Ausdruck einer absichtlich kurzfristigen und verengten Perspektive.
Vision und der Seher
Frauen wie Sheila Bair und Brooksley Born versuchten ebenso wie die im Jahre 2003 vom
Time Magazine
gewählten »Menschen des Jahres«, Mitarbeiterführung mit ihrer Wahrnehmung, ihren Werten und ihrer Vision von einer besseren Welt in Einklang zu bringen. Aber ihre Ideen wurden von ihren Vorgesetzten erst akzeptiert, nachdem das, wovor sie gewarnt hatten, eingetreten war.
Diese Frauen fanden sich in der altehrwürdigen Rolle der Cassandra wieder, die Katastrophen vorhersagte, die sie nicht abwenden konnte. Es ist kein Zufall, dass Cassandra, die mythische Verkörperung fruchtloser frühzeitiger Warnung, eine Frau ist. In der griechischen Mythologie war Cassandra die Tochter des Priamos, des Königs von Troja. Als der Gott Apollon sich in sie verliebte, verlieh er ihr die Gabe der Prophetin, die er zwar geben, aber nicht mehr nehmen konnte. Als Cassandra Apollos Liebe nicht |67| erwiderte, konnte er sie nur dadurch bestrafen, dass er festsetzte, dass niemand ihren Weissagungen jemals Glauben schenken würde. Als also Cassandra die Zerstörung Trojas voraussah, konnte sie ihre Heimat nicht vor der Tragödie bewahren, denn ihre Prophezeiungen waren dazu verdammt, ungehört zu verhallen.
Cassandra ist deshalb als »verfluchte Prophetin« bekannt. Ihr Schicksal demonstriert, was geschieht, wenn weibliche Visionen machtlos bleiben, und ihr Mythos schuf die Voraussetzung für dreitausend weitere Jahre, in denen weibliche Einsichten als wertlos verworfen wurden. Doch Cassandras Gaben – der Blick der Außenseiterin, ihr Gefühl für die richtige Perspektive, ihre Fähigkeit, zwischen den Zeilen zu lesen und Zusammenhänge herzustellen – überlebten bis heute als das, was wir unter »weiblicher Intuition« verstehen. Intuition definiert sich als die Fähigkeit, Wissen ohne den Einsatz deduktiver oder induktiver Analyse zu erwerben; es leitet sich vom lateinischen
intueri
ab, was man mit »nach innen schauen« übersetzen kann.
Intuition liefert uns Einsichten, die sich oft nicht quantifizieren oder messen lassen. Als Form der Intelligenz basiert sie auf Wahrnehmungen und wird von einer subjektiven Logik geleitet. Im Allgemeinen wird die »rechte Gehirnhälfte« mit dem intuitiven Prozess, mit ästhetischer Wahrnehmung und innovativem Denken, in Verbindung gebracht, während die linke Gehirnhälfte mit Logik und Zahlen zu tun hat. Obwohl die westliche Kultur dafür bekannt ist, logisches Denken zu bevorzugen, bieten uns subjektivere Formen der Beobachtung, Wahrnehmung und Wertdefinition häufig ein mächtiges und äußerst genaues |68| Instrument des Wissens. Die jahrtausendealte Erfahrung der Frauen auf dem Gebiet der Innenschau und der intuitiven Gedankensprünge kann für Unternehmen, die eine immer höhere Bandbreite an Informationen über die Welt verarbeiten müssen, ein wahres Geschenk sein. Und wie unsere Geschichten von zeitgenössischen Cassandras gezeigt haben, sind diese Informationen häufig lebenswichtig.
|69| Teil II
Die Bestandteile der weiblichen Vision
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Breitgefächerte Beobachtungsgabe
Die erste Komponente der weiblichen Vision ist unsere Beobachtungsgabe. Was wir beobachten oder bemerken, bestimmt, was wir sehen. Was wir beobachten, gibt auch Auskunft darüber, wie wir Ereignisse verstehen, Informationen ordnen und Wert zuweisen. Unsere individuelle Beobachtungsweise ist Ausdruck unseres Charakters, unserer Begabungen und unserer Interessen. Was wir beobachten, macht uns zu dem, der wir sind.
Männer und Frauen registrieren ihre
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