Die bessere Hälfte - warum nur Frauen die Wirtschaft nach vorn bringen
Unternehmen von Männern gegründet und geleitet |80| wurden und auch die Belegschaft lange Zeit vornehmlich männlich war, überrascht es nicht, dass ihre Struktur eine fokussierte Beobachtungsgabe unterstützt und belohnt. Genauso wenig nimmt es Wunder, dass es den Firmen schwer fällt, die breitgefächerte Wahrnehmung, die zu den größten Fähigkeiten der Frauen gehört, für sich nutzbar zu machen. Die Privilegierung einer fokussierten Beobachtung behindert Bemühungen, das volle Potenzial dessen auszuschöpfen, was Frauen zu bieten haben. Und es kann dazu führen, dass Frauen das Vertrauen in ihre Wahrnehmungen verlieren.
Doch durch die großen Veränderungen unserer Zeit haben Unternehmen die Chance, die Anzahl der Informationsquellen, derer sie sich bedienen, zu erweitern. Im industriellen Zeitalter war eine fokussierte Beobachtungsgabe ein wichtiger Aktivposten, denn das Ziel der Firmen bestand darin, Produkte und Dienstleistungen der größtmöglichen Anzahl von Menschen anzubieten und auf möglichst effiziente Weise zu funktionieren. Die Bedeutung des Fokus wurde jedoch überbewertet, sodass diese Konzentration in Zeiten der Dynamisierung der Märkte, in denen die Wirtschaft immer stärker von menschlichem Know-how abhängig ist, eher zum Hindernis wurde. Unternehmen müssen heutzutage immer häufiger individuelle Kundenwünsche befriedigen, die sich im Laufe der Zeit schnell und unvorhersagbar verändern. Auf einem Markt, der Flexibilität erfordert und starre Überzeugungen und Geschäftsmodelle abstraft, ist eine breitgefächerte Beobachtungsgabe also nur von Vorteil. Sie öffnet die Türen zu neuen Arten der Information und neuen Formen des Wissens.
|81| Die besten Unternehmen versuchen, sich der neuen Umgebung anzupassen, indem sie ihre Struktur vernetzter und integrativer gestalten und Struktur und Arbeitsabläufe nicht dermaßen rigide voneinander trennen (Kompartmentalisierung). 10 Aber Unternehmen müssen auch lernen, Sichtweisen zu unterstützen, die sich Eventualfällen und dem Kontext anpassen und sich um Details kümmern, die oberflächlich betrachtet vielleicht nicht zur Sache gehören, aber unabdingbar sind, um zukünftige Entwicklungen einzuschätzen. Die komplexe Natur des modernen Marktes spiegelt die Konnektivität, die die weiße Substanz auf mentaler Ebene herstellt, wider. Mit anderen Worten: Unternehmen müssen eine breitgefächerte Beobachtungsgabe fördern und unterstützen.
Beobachtung und Zahlen
Eine konzentrierte Beobachtung hat einen eindeutigen Vorteil: Ihr Wert lässt sich meist quantifizieren. Wenn wir etwas mit Zahlen unterfüttern, erscheint es anderen häufig objektiv. Gleichungen werden gemeinhin als »Beweise« angeführt, was die Vorstellung weckt, dass Zahlen nicht lügen, obwohl wir doch alle wissen, dass sie das manchmal durchaus tun. Elegante und komplexe Formeln können Profit zeigen, wo keiner existiert, können unmögliche Ergebnisse verifizieren und eine Minimierung des Risikos beweisen, obwohl es vor Risiken nur so wimmelt.
In ihrer außerordentlich aufschlussreichen Studie der Finanzkrise von 2008 mit dem Titel
Fool’s Gold
bemerkt |82| Gillian Tett, dass viele Bankiers deshalb vom rechten Wege abkamen, weil sie ihre eigenen mathematischen Modelle für unfehlbar hielten. 11 Als Beispiel zitiert sie die Bestürzung der Britischen Holding Gesellschaft HSBC, als eine Tochterfirma in den USA im Jahre 2006 über Zahlungsverzüge berichtete, die den ökonomischen Modellen der Bank vollkommen widersprachen. Die Banker, die sich mit diesen Daten konfrontiert sahen, hatten keinerlei Erklärung dafür, denn sie widersprachen den Ergebnissen, die ihre Formeln vorhergesagt hatten. Sie hatten so viel Vertrauen in ihre Modelle, dass sie, als die Tatsachen nicht dazu passten, beschlossen, dass die Fakten falsch waren.
Sogar Bankiers, die die vorherrschenden Modelle nicht einsetzten, gingen von ihrer Richtigkeit aus. Tett beschreibt, wie Blythe Masters, damals Finanzchefin bei JP Morgan Chase verzweifelt versuchte, herauszufinden, wie ihre Konkurrenten, also Goldman Sachs, Merrill Lynch und Lehman Brothers es schafften, gigantische Profite aus verbrieften Schuldverschreibungen zu schlagen, ohne ein beachtliches Risiko einzugehen. 12 Masters hatte in jenem Team bei JP Morgan mitgearbeitet, das in den Neunzigerjahren diese Sicherheiten eingeführt hatte, weshalb sie einen hervorragenden Ruf als Pionierin im Kreditgeschäft genoss. Aber obwohl JP Morgan die Sicherung der
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