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Die beste Lage: Roman (German Edition)

Die beste Lage: Roman (German Edition)

Titel: Die beste Lage: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaetano Cappelli
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Jeans und Cordsamthosen, klobigen Schuhen und Clarks, aber öfter noch trugen sie Arbeitsstiefel mit Stahlkappen, weil man dem Feind damit besser ins Gesicht treten konnte.
    Sorglose Jugend
    Wie anders waren sie als die farbenfrohe Jugend, der er im Sommer davor in London begegnet war! Die Masse, die er jetzt vor sich hatte und die wie ein mäßig aufgewühltes Meer wogte, wies eine mittelprächtige Farbpalette von Moosgrün über Kastanienbraun bis hin zu Mausgrau auf, was Graziantonio aber alles in Schwarz-Weiß wahrnahm. Nicht, dass es keine grellen Farben gegeben hätte. Da waren zum Beispiel die roten Tücher, in die man die Äxte eingewickelt hatte, ganz zu schweigen von den bemalten Plakaten oder den Hunderten von flatternden, mit Hammer und Sichel verzierten Fahnen. Er aber sah alles in Schwarz-Weiß, als wären es schon die Bilder, die am Abend im Fernsehen übertragen werden würden.
    Selbst das Schwarz-Weiß des Fernsehens jener Jahre war merkwürdig düster – wie hätte es auch anders sein können angesichts dieses täglichen traurigen Kaleidoskops von Tränengas, Polizeiattacken, Blutflecken auf dem Asphalt und geschwollenen Gesichtern. Das hatte nichts gemein mit den duftigen, sonnigen Grautönen der Sechzigerjahre, die von den ersten Spritztouren mit der Vespa erzählt hatten, von den fliegenden Röcken und Pferdeschwänzen der Mädchen, die sich an spindeldürre Burschen in mickrigen Anzügen mit schmalem Revers und hängenden Schultern schmiegten, oder von den Fiats 600, die aus den Fabrikgeländen rollten, oder vom Twist und den ersten Bikinis am Strand.
    Wie sehr unterschied sich diese militärisch vorbeidefilierende Jugend nicht nur von der in London, sondern auch von der, die Graziantonio im Sommer davor in Rom erlebt hatte, als er sich am Ende seiner Reise zusammen mit Tausenden junger Leute, die aus ganz Italien herbeigeeilt waren, zu einem Konzert von Frank Zappa eingefunden hatte und dort zufällig auf Riccardo Fusco und Giacinto Cenere gestoßen war, die ihn zum ersten Mal nicht mit der üblichen Arroganz behandelt, sondern sogar durch halb Rom geschleppt hatten. Nie war ihm Rom schöner erschienen. Irgendwann waren sie in der Wohnung eines Malers aus Potenza gelandet, die genau so war, wie man sich die Wohnung eines jungen Künstlers vorstellt: ein einziger großer Raum, in dem ein Chaos im reinsten Bohemienstil herrschte. Und je mehr Zeit in diesem Raum mit seiner Unmenge an knallig bunten Bildern verging, desto mehr füllte er sich mit jungen Leuten aus der Basilikata – mit »Basilisken«, wie sich die Bewohner dieser Region gern nannten –, die, von demselben Konzert kommend, durch die Nacht geirrt waren und jetzt anklopften, um Obdach baten und dieses auch erhielten.
    Hipster Basilisken
    Kurzum, es war so voll, dass man keinen Fuß mehr vor den anderen setzen konnte. Und genau dort, inmitten all dieser Leute, fühlte sich Graziantonio, vielleicht weil er in Begleitung von zwei Exponenten seines Gymnasiums war, vielleicht weil er sich wieder in Gesellschaft von Lukaniern, darunter auch viele Jungs aus Potenza, dennoch aber fern des üblichen Ambientes befand, wo jeder auf seine angestammte Rolle festgelegt war – in seinem Fall eben auf die des Doofis –, vielleicht auch, weil er berauscht war von der nächtlichen Atmosphäre der großen Metropole, die ihn wie einen heroischen Odysseus am Ende einer langen, abenteuerlichen Reise empfangen hatte – wobei es in Wirklichkeit kaum zwei Wochen gewesen waren, die er in einer Londoner Vorstadt bei der schmuddeligsten und knickrigsten Familie, die sein Vater hatte ausfindig machen können, der er aber auch das niedrigste Kostgeld hatte zahlen müssen, verbracht hatte –, kurzum, man weiß nicht genau, warum Graziantonio sich so ruhig und so vollkommen selbstsicher und so wohl wie nie zuvor in seinem Leben fühlte. Jedenfalls führte er zwischen einem Joint und dem nächsten das große Wort und erzählte, von Giacinto Cenere sekundiert, wie sein Vater die Ferrandinesen übers Ohr gehauen und ihnen die in Staatsbesitz befindlichen Methanvorkommen angedreht hatte, womit er alle zum Lachen brachte, sich von Riccardo Fusco – dessen Präsenz ihn immer besonders verunsichert hatte – eine Umarmung einhandelte und schließlich sogar noch seinen ersten Fick anbahnte, und obwohl das Mädchen, das sich ihm stehend im Klo hingab, ein verlottertes, pickliges Ding mit grauenhaftem Akzent war, erlebte er eine wirklich unvergessliche Nacht.
    Zum

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