Die beste Lage: Roman (German Edition)
ersten Mal war es ihm gelungen, all seine albernen Komplexe abzuschütteln und aus sich herauszuholen, was in ihm steckte, und das waren ein Ungestüm und ein Esprit, von denen er selbst nichts gewusst hatte, auf die er aber in Zukunft setzen würde, auch in seiner unmittelbaren Zukunft als Student, die ihm jetzt, dank der neuen Achtung, die er sich bei Leuten vom Kaliber eines Fusco und eines Cenere verschafft hatte und die ihm die Tore zu den gehobenen römischen Kreisen öffnen würde, plötzlich rosig und verheißungsvoll erschien … Doch Giacinto Cenere und Riccardo Fusco hatten sich anderswo immatrikuliert. Und Graziantonio brachte nicht den Mut auf, allein im Haus des jungen lukanischen Malers aufzukreuzen, und so befand er sich jetzt, um jemanden – vorzugsweise jemanden weiblichen Geschlechts – kennenzulernen, hier vor dieser aufmarschierten Masse, diesem kompakten und düsteren und aufmüpfigen Block.
Der letzte Schrei in Sachen Demonstrationen
Zusammen mit den anderen setzte er sich in Marsch, immer noch in der Absicht, eine der Demonstrantinnen anzubaggern, die trotz der wilden Slogans, die sie brüllten, letztendlich doch nicht so anders waren als die Mädchen im Süden – sie würdigten ihn nämlich keines Blickes. Dennoch gab es dieses Mal etwas Neues.
Ein Grüppchen inmitten der vielen jungen Leute, das die Slogans zwar nicht so laut rief, aber felsenfest an sie glaubte, war handgreiflich geworden.
Insbesondere hatten sie angefangen, den bürgerlichen Staat zu zerschlagen, indem sie, auch wenn der Grund nicht ganz klar war, die am Straßenrand parkenden Autos demolierten. Irgendwo musste man schließlich anfangen. Abgesehen von Luxusautos – und Graziantonio blutete das Herz, als der kleine Porsche von einem Dutzend kräftiger Militanter in äußerster Missachtung der unübertroffenen Schönheit seiner Linien in eine unförmige Blechmasse verwandelt wurde – blieben nicht einmal die bescheidenen Kleinwagen verschont, auch wenn sie, hässlich, wie sie waren – wir befinden uns in den Siebzigerjahren, und die schlichte Eleganz der Fiats 500 und 600 war bereits Geschichte –, eigentlich kein Mitleid verdienten, obwohl sie mit Sicherheit Proletariern gehörten. Aber daran hätten sie – wenn überhaupt! – vorher denken müssen, diese kühnen Verteidiger der mittellosen Klasse, die sich nach den Fahrzeugen jetzt dem Zertrümmern von Schaufenstern widmeten und in der Folge der Plünderung der dort ausgestellten Waren.
In jenem Augenblick landete Graziantonio, ehe er richtig begriff, was überhaupt vor sich ging, im Inneren eines großen Kaufhauses, und zwar inmitten eines Trupps, der sich plötzlich vom Umzug gelöst hatte und ihn, als gänzlich unfreiwilligen Zeugen einer der ersten »proletarischen Enteignungen«, wenn nicht gar der allerersten, mit sich gerissen hatte. So wurde nämlich, wie er tags darauf in den Zeitungen lesen konnte, diese neueste Neuerung genannt.
Hinter jedem Reichtum steckt ein Verbrechen
Während er wie benommen den Rebellen zuschaute, die sich in die revolutionäre Zerstörung der Waren verbissen oder sich, pfiffiger noch, die Taschen – Tolfa-Taschen selbstverständlich – damit vollstopften, hatte es Graziantonio in die Nähe einer der von den flüchtenden Angestellten verlassenen Kassen verschlagen, aus der ein beträchtliches Häufchen Banknoten herausschaute. In diesem Augenblick vernahm er den Befehl seiner heimlichen inneren Stimme: »Steck’s ein, du Idiot!« Es war die Stimme seines Vaters, das war ihm jetzt klar. Um jeglichen Zweifel auszuräumen, hörte er sie jetzt mit noch mehr Autorität hinterherschieben: »Los, verdammt, du Idiot! Ich hab dir doch gelernt, wie man reich wird, oder?« Und zum ersten Mal gehorchte er ihr. Er steckte das Geld ein, ja, er ging sogar über den väterlichen Befehl hinaus und leerte unauffällig auch noch all die anderen Kassen. Da es ein Freitagabend war, sollten sich die Einnahmen als durchaus lohnend erweisen.
Von da an ließ sich Graziantonio keine Demonstration mehr entgehen. Während die anderen marschierten, passte er genau auf, um gleich die aggressivsten Gruppen zu identifizieren, und beschränkte sich dann darauf, ihnen bei ihren Überfällen in einigem Abstand zu folgen und sich, nachdem er ihre destruktive Kraft bewundert hatte, wie ein Falke auf die Registrierkassen zu stürzen, um ihren Inhalt zu plündern, oder, wenn das nicht klappte, die teuersten Gegenstände mitgehen zu lassen: Fotoapparate,
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