Die beste Lage: Roman (German Edition)
je, mein Freund.«
»Gut, dann hört mir zu! Es gibt ’ne Gelegenheit, sie ein für alle Mal loszuwerden.« Irgendwie würde sie sich schon ergeben, diese Gelegenheit. Und dann erzählte er ihm die Geschichte.
»Gewiss, was du da sagst, klingt interessant … Aber was soll ich dabei tun?«
»Eure Pflicht als Offizier! Bis zu ’nem gewissen Punkt, zumindest.«
»Und das wäre?«
»Was tut ein Offizier angesichts einer Kutsche, in der ein grässlicher Verbrecher und sein gefährlicher Komplize sitzen? Er heißt sie auszusteigen und befiehlt seinen Leuten ohne viel Federlesens, bei der geringsten verdächtigen Bewegung auf sie zu schießen. Bis hierher alles klar? Dann unterschreibt er die Papiere, die es dem treuen Untertan des Königreichs Italien, also meiner Wenigkeit, ermöglichen, in derselben Kutsche weiterzureisen, aber erst, nachdem er seiner Pflicht Genüge getan und die gefährlichen Verbrecher angezeigt und das verdiente Kopfgeld kassiert hat. Daraufhin gestattet ihm der Herr Offizier, unbelästigt dorthin zurückzukehren, von wo er kommt, und zwar mit demselben Fahrzeug, das, gut versteckt und ohne jegliches Wissen der Truppe, die Taschen mit jenem Schatz enthält, den er dann mit dem adligen Offizier, dem Ausführenden der brillanten Polizeiaktion, teilt, und zwar an einem ruhigeren Ort, fern von indiskreten Blicken.«
»Ein perfekter Plan, mein Freund!«, sagte der Offizier und schlug Graziantonio kräftig auf die Schulter. Dann fügte er zufrieden hinzu: »Und wo soll dieser ruhige Ort sein?«
Der ruhige Ort befand sich in unmittelbarer Nähe des Lagers der Briganten – warum das, was in einer einzigen Hand bleiben konnte, durch zwei teilen? –, die sich freuten, an dem adligen Offizier aus der Toskana, der ihnen ahnungslos in die Arme gelaufen war, ihre ganze Wut darüber austoben zu können, dass sie ihrerseits von Hauptmann Turmkrähe um die Früchte ihrer Raubüberfälle betrogen worden waren. Sie zwangen ihn zuerst, seine eigenen Ohren aufzuessen, und hieben ihm dann den Kopf ab, den sie zu guter Letzt auf einen Pfahl aufspießten.
Das gute Gedächtnis des Windes
Bestimmt habt ihr das wunderschöne Bild von Renoir vor Augen, auf dem er mit seiner unglaublichen Fähigkeit, die Reflexe des im Laub spielenden Sonnenlichts einzufangen, eine demoiselle gemalt hat, die zwischen den Bäumen einer Allee lustwandelt. Gut, dann ersetzt die junge, für den Spaziergang sorgfältig gekleidete Frau durch einen jungen Kerl – untersetzt und bei Gott alles andere als elegant –, und ihr bekommt eine genaue Vorstellung von der Heiterkeit, mit welcher der Ururgroßvater und Namensvetter von Graziantonio Dell’Arco ein paar Monate nach dem oben geschilderten Abenteuer eine Allee entlangging und unter einer Eiche stehen blieb, um über das Schicksal nachzusinnen, das es ihm, einem armen, in dem jetzt im Hintergrund sichtbaren Klosterkirchlein ausgesetzten Findelkind, gestattet hatte, ein derart reicher Mann zu werden, dass er soeben das eleganteste Gebäude des Dorfes hatte erwerben können.
Es war dieselbe Allee und dieselbe große Eiche, unter der jetzt, genau am selben Tag und zur gleichen Stunde, nur einhundertfünfundvierzig Jahre später, Riccardo Fusco stehen geblieben war. Nach vergeblichen genealogischen Recherchen befand er sich auf dem Heimweg zur Pension Edelweiß, als plötzlich eine Bö durch die Blätter des Baumes fuhr und in seinem Gehirn etwas in Bewegung setzte, was vielleicht wie das Echo dessen widerhallte, was der gleichnamige Vorfahr Graziantonio Dell’Arcos genau an jener Stelle einhundertfünfundvierzig Jahre zuvor gedacht hatte. »Dahin musst du gehen«, sagte er sich mit Blick auf die Klostermauern am Ende der Allee, während ihm ein Windhauch über das Gesicht strich wie eine sanfte Brise, die auf offener See einen Sturm ankündigt.
Alles nur eine eitle Einbildung? Oder stimmte, was die Romantiker glaubten, dass nämlich alles, was einmal war, weiterbesteht und dass wir damit in Kontakt treten können – vielleicht durch einen sanften Zephir, der durch die Blätter einer jahrhundertealten Eiche säuselt – und so unbewusst zu jener Erkenntnis gelangen, die unsere Handlungen bestimmt?
Tatsache ist, dass Riccardo Fusco, nachdem er aus dem unruhigen Nachmittagsschlaf erwacht war, zu dem er sich in seinem Kabäuschen hingelegt hatte, dem folgte, was wir gemeinhin als »einfache Intuition« bezeichnen, und, statt zur Mutterkirche der Madonna del Consiglio zurückzukehren,
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