Die beste Lage: Roman (German Edition)
nebenbei. Auf seine Veröffentlichung hin folgte jedoch der Anruf von Norman Gastell – Herausgeber der viel prestigereicheren Zeitschrift Wine Spectacle , weltweit bekannt als die Bibel der Önologie –, der sie um einen ähnlichen, aber »farbigeren« Artikel bat.
Auch dieses Mal sagte Chatryn, die sich als »reine« Wissenschaftlerin fühlte, ausschließlich wegen des angebotenen Honorars zu, das es ihr ermöglichen würde, sich mindestens drei Monate lang keine Gedanken darüber machen zu müssen, wie sie über die Runden kam, was, seit sie allein lebte, stets ihre größte Sorge war.
Der Schnulzensänger-Vater
Als Tochter italo-amerikanischer Eltern hatte Chatryn ihr Herkunftsmilieu immer als deprimierend empfunden. Ihr Vater, Osvald Wallitriny, war als junger Mann ein schmachtender Latin Lover mit brillantinestarrendem Haar und dünnem Menjoubärtchen gewesen, für kurze Zeit sogar ein noch schmachtenderer crooner , wie man in Amerika die Schnulzensänger nennt – von ihm hatte Chatryn die tiefschwarzen Augen und die schöne Samtstimme geerbt. Die interessantesten Eroberungen von Vater Wallitriny gingen auf ebenjene Periode zurück, in der er im Marechiaro Sweet Tunes Orchestra spielte, einem Orchester, das anfangs in den Lokalen der italienischen Auswanderer aufgetreten war, mit der Zeit jedoch eine solche Popularität errang, dass es zu den unvergesslichen, live gesendeten Sonntagvormittagskonzerten von Radio City eingeladen wurde.
Eben dank dieses Erfolgs durfte sich Osvald der Gunst eines Trios von Halbberühmtheiten erfreuen, als da waren: Sarah Toscano, die die zweite der drei Scheidungen von Dean Martin provoziert hatte; Michelle Tillday, die Tänzerin aus der ersten Reihe, bekannt für ihren Hüftschwung, mit dem sie selbst Cyd Charisse – »die Frau, die jeden Mann mit einer einzigen Beinbewegung lahmlegt« – ausstach und eben deshalb von dieser, wie man munkelte, aus ihrem Ballettcorps entfernt wurde; und drittens, zu seinem persönlichen Schaden, Wilma Knopperfield, das ehemalige Nivea-Reklamegesicht und zu jenem Zeitpunkt die erste und unbefriedigte Ehefrau von Douglas Finney Deleare II , dem Impresario von Radio City, der, nachdem er seine Frau in einer Umkleidekabine dabei erwischt hatte, wie sie sich gerade aus ihrer Kauerposition vor dem crooner aufrichtete, um den Mund herum Spuren einer Creme, die ganz gewiss nicht Nivea hieß, das Ende von Osvalds kleiner Karriere besiegelte, indem er ihm mit einem Kopfstoß die Schneidezähne ausschlug. Der Zahntechnik der Vereinigten Staaten, die immer schon zur Avantgarde der Welt zählte, gelang es zwar, das Gebiss des armen Osvald einigermaßen wiederherzustellen, aber für jemanden, der samtene Liebesworte in ein Mikrofon zu säuseln hatte – einen crooner eben –, eignete es sich natürlich nicht mehr.
So hängte Osvald Wallitriny das Mikrofon an den Nagel und begann in dem Restaurant in Tribeca zu arbeiten, das seine allzeit von ihm verachteten Brüder betrieben. Bald darauf heiratete er die selbstverständlich ebenfalls italoamerikanische Carmel Losavio, die anmutige, zart gebaute Tochter eines Herrenfriseurs aus Hoboken, die ihm vier Kinder gebar – Richy, Saurus, Ted und Chatryn – und im Laufe der Jahre mit derselben Unausweichlichkeit zu einer fetten Matrone mutierte, mit der er selbst sich zuerst in einen bleichen, verschwitzten Hilfskoch, dann in einen hysterischen Souschef und schließlich in einen noch hysterischeren und hyperaktiven chef de cuisine verwandelte, dies wiederum im gleichen Tempo, wie aus dem kleinen Familienlokal »Little Happy Family« das »Great Happy Family« beziehungsweise dann jene Kette von Restaurants wurde, in denen die italienische Gastronomie denselben drastischen Wandel vollzog, den sich der ursprüngliche Familienname Gallatrini hatte gefallen lassen müssen, nur mit schlimmeren Resultaten, denn er machte Gerichten Platz, deren Namen – »Cannoli with bracciole« oder »Spaghetti bolognese with steak« – allein schon barbarisch genug klangen, dass in Italien niemand im Traum daran gedacht hätte, sie auch nur zu kosten, die hier aber nicht nur für die Gäste, sondern auch für die Familie selbst die typische Kost darstellten, weil Carmel Losavio Wallitriny es viel bequemer und billiger fand, sich von den Speisen der nächstgelegenen »Great Happy Family«-Filiale zu ernähren, als selbst zu kochen. Abgesehen von diesem Zugeständnis an den American way of life blieb sie aber die typische, stets
Weitere Kostenlose Bücher