Die beste Lage: Roman (German Edition)
besorgte italienische Mamma.
Eine italienische Mamma in Tribeca
Ungemein fromm und zutiefst dem Aberglauben verhaftet, war Carmel, im Gegensatz zu Osvald, einem Amerikaner der dritten Generation, erst als Siebenjährige aus einem Kaff im kalabresischen Apennin nach New York gekommen. An die kalten Winter, das karge Essen und das Wäschewaschen am Dorfbrunnen in jener Zeit, da sie noch Carmela geheißen hatte und barfuß herumgelaufen war, konnte sie sich noch so gut erinnern, dass es ihr nicht gelang, den Reichtum, in dem sie mittlerweile lebte, zu genießen, weil sie ständig befürchtete, ihn wieder zu verlieren. Eine Angst, zu der sich die ewige Sorge um die Gesundheit ihres Mannes und ihrer drei angebeteten Söhne gesellte. Um Chatryn dagegen kümmerte sie sich überhaupt nicht, denn sie war ein Mädchen und folglich, wie sie selbst, zum Leiden geboren.
Eben wegen dieses Büßerinnenschicksals stand Carmel Losavio, auch wenn sie das Leben einer großen Dame hätte führen können, jeden Morgen gleich nach Tagesanbruch auf und brachte im Trainingsanzug, ihre vogelnestähnliche Frisur von einem Netz geschützt, das ganze große Haus auf Hochglanz, das sich mit all seinem Marmor und Nippes – darunter eine wertvolle, aus zwölf Teilen bestehende Sammlung von Gondeln aus mehrfarbigem Muranoglas – zum Wahnsinnigwerden geradezu anbot. Während dieser Tätigkeit richtete sie Bitten an alle Heiligen des Kalenders, ohne dabei auf den Klangteppich der melodischen Schlager zu verzichten, die Radiosender wie Lovely Italy und Sorriento Broadcasting ausstrahlten. Mindestens zweimal pro Woche schlüpfte sie dann in eines ihrer geblümten Sonntagskleider, stieg in den Buick Rivera, ein Geschenk ihres Mannes, und fuhr von Tribeca zurück nach Hoboken, um sich dort von der alten Kartenlegerin der Familie, Terenzia Marapina, die Zukunft vorhersagen zu lassen, und nachdem sie ein paar Espressi getrunken und ein halbes Dutzend Zigaretten geraucht hatte, kehrte sie erleichterter nach Hause zurück, als wenn sie bei einem Beichtvater oder einem Psychoanalytiker gewesen wäre – obwohl das Schicksal es wollte, dass sie um die fünfzig herum in einem Heim für Geisteskranke landete.
Auch wenn es keine Neuigkeiten gab – und es gab fast nie welche –, genügte im Allgemeinen der geringste Hinweis auf eine mögliche Ungewissheit im Zusammenhang mit dem Unternehmen oder, schlimmer noch, mit den vergötterten männlichen Mitgliedern der Familie, um sie in Panik zu versetzen. In solchen Fällen verhielt sie sich wie jemand, der durch die Diagnose seines Hausarztes etwas Unangenehmes erfahren hat und sich daraufhin an einen Spezialisten wendet, weil er eine ganze Reihe solcher Fachleute an der Hand hat, allesamt »Koryphäen« auf ihrem Gebiet. In ihrem Fall waren das ein Magier, der zum Wohle der Restaurants den bösen Blick bannte, und eine Magierin, die sich mit Magen-Darm-Problemen auskannte und sehr oft konsultiert wurde, infolge der enormen Mengen minderwertiger Speisen, die ihre Sprösslinge verdrückten. Häufig suchte sie auch Rat bei der Magierin, die auf emotionale Nöte spezialisiert war, denn mit solchen hatten die drei Jungen oft zu kämpfen, seit sie in die Fußstapfen ihres Vaters getreten waren und sich wie er in seinen jungen Jahren als Sänger versuchten, ohne jedoch über sein Talent zu verfügen. Die Magier und Magierinnen wurden in einem fort ausgewechselt, da es ihnen trotz der unterschiedlichsten und ausgetüfteltsten Rituale nicht gelang, für die Söhne den gleichen Erfolg herbeizuführen, den zu deren Missvergnügen Chatryn einheimste. Das Mädchen war im Übrigen ein solches Wunderkind, dass alle Familienmitglieder sie mit Kälte behandelten, was sie allerdings mit gleicher Münze heimgezahlt bekamen. Nicht etwa, dass Chatryn sie verachtet hätte, das nun wirklich nicht. Aber sie fühlte sich fremd unter ihnen, und das schon seit zartestem Kindesalter.
Ein sehr apartes Mädchen
Als ihre Mutter sie zum Beispiel am Tag ihrer Erstkommunion in ein niedliches Tüllnest steckte – und dieser Tag ist wohlgemerkt jener, den die katholischen Mädchen in der ganzen Welt ungeduldig herbeisehnen, nur um mit einem solchen Kleid prahlen zu können –, leistete Chatryn, die bis dahin fast nie einen Rock und folglich auch niemals die Art von Kleidern angezogen hatte, die kleine Mädchen in Verzückung geraten lassen, keinerlei Widerstand. Allerdings saß sie dann während des ganzen Festes mit einem Buch in der Hand
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