Die beste Lage: Roman (German Edition)
in einer Ecke, umwogt vom kunterbunten Treiben wohlbeleibter Tanten, pomadisierter Onkel, Vettern mit Haartollen à la Fonzie alias The Fonz und Cousinen in entzückenden Blütenkelchröcken.
Und mit den Jahren wurden die Dinge auch nicht besser.
Chatryn war gerade mal halbwüchsig, als sie anfing, das Haus zu den Zeiten zu verlassen, die ihr am besten behagten, und zwar mit den Leuten, die ihr am besten behagten, genau wie die drei Kinder männlichen Geschlechts es taten, obwohl sie natürlich kein männliches Wesen war, weshalb Carmel ihr Vorhaltungen machte, ohne allerdings die notwendige Charakterstärke zu besitzen, ihre Tochter zur Umkehr zu bewegen. Das galt in gleichem Maße für die drei Brüder, die Chatryns eigenwillige Persönlichkeit jedoch duldeten. Und da der Vater, der ihr Verhalten vielleicht als Einziger hätte ändern können, ständig abwesend und von seiner Arbeit aufgerieben war, blieb das Mädchen bald seinem Schicksal überlassen. Nachdem Chatryn sich an der Universität eingeschrieben hatte – und ihre ersten Forschungsarbeiten beschäftigten sich gewiss nicht zufällig mit den apotropäischen Ritualen in der Massenkultur –, kam sie immer seltener nach Hause, was auch niemandem groß auffiel.
Hin und wieder schrieb sie einen Brief oder telefonierte, aber was das Übrige anbelangte, so lebte sie ihr Leben, ohne ihre Eltern je um etwas zu bitten. Das war weniger eine Frage des Stolzes als Ausdruck des Verlangens, sich allein um ihre Angelegenheiten zu kümmern, was allerdings Unannehmlichkeiten mit sich brachte. In erster Linie Geldmangel, dem sie mit ihren zahlreichen Stipendien begegnete beziehungsweise später, als sie nach ihrer Promotion einem Lehrstuhl für Ethnologie hinterherjagte, dadurch, dass sie für einschlägige Zeitungen und Zeitschriften arbeitete.
Wenn nun Chatryn für die Welt, der sie entstammte, zu gebildet und zu kultiviert war, sah es bezüglich der Männer auch nicht besser aus. Nachdem sie ihre bärtigen Uni-Kollegen a priori aussortiert hatte, interessierte sie sich für die Typen aus dem unkonventionellsten Intellektuellenmilieu der Bohemien-Lokale des Village, wo sie in einer kleinen, verschlampten Mansarde wohnte, und aus dem Kreis der Intellektuellengalerien von SoHo, aber es lief alles auf dasselbe hinaus, denn nach einer ersten und oft heißen Phase der Schwärmerei fand sie all diese Typen nur noch langweilig und berechenbar. Die Männer ihrerseits hielten sie in ihrer bewundernswerten Perfektion für ein bisschen kühl – auch wenn sie das immer erst sagten, nachdem sie ihnen den Laufpass gegeben hatte. Tatsächlich hatte Chatryn Wallitriny ein warmes Herz, das darauf wartete, entflammt zu werden. Es fehlte nur der Richtige. Und als sie den Eindruck hatte, ihn endlich gefunden zu haben, stellte sich heraus, dass der Richtige dank einer Ironie des Schicksals ausgerechnet ein Italiener war, den sie zudem noch in dem von ihr keineswegs mythisch verklärten Land ihrer Vorväter kennengelernt hatte.
Grand Tour
Ja, wir können ruhig festhalten, dass Chatryn gegen ihren Willen nach Italien gekommen war, nachdem man ihr nämlich in ihrer Fakultät einen Feldforschungsauftrag abgejagt hatte, der sie nach Nepal geführt und sicherlich besser zu ihren rezenteren Forschungen über den Ursprung des Buddhismus gepasst hätte. Aber sie war knapp bei Kasse gewesen und hatte es sich nicht leisten können, den Vorschlag von Samuel Dubslawski, einem Professor, der ihr ein wenig den Hof machte, abzulehnen. Er schickte sie in die Basilikata, wo sie den Stand der von Banfield formulierten Theorie vom »amoralischen Familismus« in einem Abstand von fünfzig Jahren untersuchen sollte. Während ihrer ganzen Reise tat sie nichts anderes, als die Wissenschaftlerin zu verfluchen, die ihr den Job in Nepal vor der Nase weggeschnappt hatte, und nicht einmal angesichts der Wunder von Rom hörte sie damit auf, zumal ihr während der zwei Tage ihres Aufenthalts ein prasselnder Dauerregen die Laune weiter vermieste. Ihre Verdrossenheit steigerte sich dann nochmals während der endlosen Umsteigerei auf der Reise in den Süden.
›So etwas gibt’s nicht mal in Nepal‹, dachte sie voller Verachtung auf dem letzten Abschnitt der Reise, als der an sich schon bummelige Zug ab Salerno an jedem Misthaufen stehen blieb. Doch inzwischen hatte sich der Himmel endlich aufgeklart, und als sie hinter der mit Regenschlieren verzierten Fensterscheibe den unglaublich weiten Horizont auftauchen sah,
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