Die Beste Zum Schluss
funktionieren.«
Seine wässrigen Augen haften an mir.
»Willst du denn keine eigene Familie?«
Wie immer, wenn einer behauptet, das sei nicht meine Familie, sticht es in der Brustgegend.
»Ich traf noch nicht die Richtige«, sage ich, um eine Nanosekunde später Eva zu denken und einen Stromschlag in der Magengegend zu kassieren.
»Lola meint, du hast eine Freundin.« Sein heller Blick klebt unentwegt an mir. »Was, wenn die Sache hier länger dauern sollte. Musst du dann zu dieser Frau?«
Sieh an, sieh an. Mit Opa redet sie also.
»Nein, sie ist weg«, sage ich und denke an ihren regungslosen Blick. Mein Herz beginnt, schneller zu schlagen.
Er lässt einen prüfenden Blick über mein Gesicht laufen, gestählt von tausend Lügen am Bau. Aber bei mir kann er suchen, wie er will. Mein Herz ist rein. Und die Gedanken sind frei.
Schließlich räuspert er sich.
»Entschuldige die Fragen. Ich bin zu alt, um zu verstehen, wie das heute bei euch jungen Leuten läuft.«
»Kein Problem.«
Er nickt mir zu, stemmt seine Fäuste gegen die Tischplatte und drückt sich hoch. Er nickt mir noch mal zu und geht ins Haus. Die Tür fällt zu. Er will Sicherheit für seine Tochter. Ich versuche, mir vorzustellen, wie es ist, wenn man jahrelang zuschaut, wie die Frau, die man liebt, vor den eigenen Augen immer weniger wird, bis nichts mehr von ihr übrig ist. So etwas haben meine Eltern nicht erleben müssen. In jedem Unglück lässt sich ein kleines Glück finden.
Der Garten wirkt plötzlich still und leer. Das blaue Haus steht immer noch da, das Dach und die Antenne schauen zu mir rüber. Ich stehe auf und gehe ins Haus. Im Kinderzimmer lasse ich mich auf das viel zu kleine Bett fallen und rolle mich zusammen. Rene fehlt mir, Lola fehlt mir, Oscar fehlt mir, und noch jemand fehlt, so sehr, dass meine Haut schmerzt. Sie wartet noch zwei Tage. Solange dieser Countdown läuft, gibt es Hoffnung, und solange es Hoffnung gibt, tut es noch mehr weh.
Ich versuche es mit einem Buch. Als ich die ersten Seiten zum dritten Mal lese, werfe ich es in die Ecke. Irgendwo da draußen redet Rene mit den Kindern.
Ich klappe den Laptop auf und schreibe ein paar Sätze über Caro, lösche sie und klappe den Laptop wieder zu. Einsamkeit schleicht durch den Raum. Es ist so still hier. Alles, was Renes Vater geblieben ist, ist ein zu großes Haus und ein Sack voller Erinnerungen. Mir ging es damals ähnlich, doch ich bin weggezogen, um nicht an jeder Ecke erinnert zu werden. Und jetzt bin ich hier. Und mein Elternhaus ist nur fünfzig Schritte entfernt. Schon merkwürdig, wie viel Bedeutung Gegenstände manchmal bekommen. Nach Isa konnte ich lange nicht an Wasserbetten denken, ohne an Isa zu denken, weil sie darauf bestanden hatte, dass wir uns eins anschaffen. Vielleicht dachte sie damals schon daran, dass sie das Ding beim Umzug mitnimmt. Bis heute kann ich auch keinen Schaukelstuhl ansehen, ohne an meine Mutter zu denken. Er war ihr Lieblingsmöbelstück. Ich brachte es nicht übers Herz, ihren Stuhl zu verschenken. Ich schaffte es aber auch nicht, ihn in die Wohnung zu stellen und zu benutzen. Noch heute steht er in einem Lager, neben den Gemälden meines Vaters. Ich habe ihre Parfümflaschen aufgehoben, ihre Fotoalben, seine Brillen, ihre Töpfe. Ich kann diese Dinge weder verkaufen noch benutzen, noch anschauen. Wieso sind Gegenstände so oft Auslöser eines Gefühls? Gegen-stände. Ein seltsames Wort. Und jetzt liege ich hier und habe Atemnot wegen eines Hauses. Ich weiß, dass ich meine Gefühle nur auf das Haus projiziere. Was ich nicht weiß, ist, wie man damit aufhört.
Ich klappe den Laptop wieder auf.
Tausend sinnlose Gedanken und fünf Schreibversuche später dämmert es im Zimmer. Die Sonne geht bereits unter, als draußen Autotüren klappen und Kindergeschrei ertönt. Ich eile raus und treffe ein paar gut gelaunte Kinder. Wie Rene es ihnen auch immer beigebracht hat, keinem ist Traurigkeit anzumerken. Oscar stürzt sich auf Sulke, Lola schaukelt eine Runde. Die Einzige, die ein bisschen mitgenommen wirkt, ist Rene. Ich frage sie, wie es lief.
»Später«, murmelt sie und verschwindet ins Haus.
Beim späten Abendbrot kreist das Gespräch um das Wetter, den Garten, Sulke und Alemannia Aachen. Rene macht auf munter, Oscar quatscht, Lola ignoriert mich weiterhin, und Renes Vater sitzt da wie ein Klotz. Danach putzen die Kinder brav ihre Zähne und gehen, ohne zu murren, ins Bett. Rene legt sich zu ihnen.
Ich gehe wieder ins
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