Die Beste Zum Schluss
getraut.«
Ihr Lächeln wird immer breiter, bis es seinen Zenit überschreitet und langsam wieder zusammenfällt.
»Das ist bloß so ein Familiending«, sagt sie. »Papa weint auch nie.«
»Und glaubst du, das ist gut für ihn? Schau dir die Kinder an, die heulen manchmal, und danach geht’s ihnen besser.«
Sie schüttelt den Kopf.
»Das sind Kinder. Es ist was anderes, wenn man Verantwortung hat, dann muss man stark sein.«
»Aber du hast auch nicht geweint, als du noch keine Kinder hattest.«
Sie mustert einen Fleck auf ihrem Ärmel, kratzt daran, und als sie mich anschaut, lächelt sie wieder. Diesmal ist es nicht echt.
»Themenwechsel, hm?« Sie macht eine Handbewegung und mustert die Decke wieder. »In letzter Zeit habe ich nur noch funktioniert.« Sie schaut angestrengt nach oben. »Ich weiß nicht mal, wann …«
»Wann was?«, frage ich.
»Wann ich aufgehört habe zu leben.«
»Du lebst doch.«
»Nein.« Sie dreht sich diesmal mit dem ganzen Körper zu mir herum, und als ihr Blick mich trifft, ist er schmerzerfüllt. »Ich atme bloß und halte durch. Ich genieße mein Leben nicht mehr.«
»Hm.«
Sie kratzt sich am Kinn und heftet ihren Blick auf eine Stelle über meinen Augen.
»Vielleicht muss man erst krank werden, bevor man nachdenkt. Vielleicht ist der Krebs deswegen da.« Ihr Blick wandert zurück zu meinen Augen. »Was meinst du? Ist Krankheit eine Art der Kommunikation des Körpers? Die meisten Frauen bekommen diesen Scheiß mit sechzig. Ich bin erst Ende dreißig. Will mein Körper mir was sagen?«
»Zum Beispiel?«
»Weiß nicht.« Sie kratzt sich wieder am Kinn. »Gesünder leben, weniger Stress, so was.«
»Kann nie schaden«, sage ich, »aber wenn ungesund leben der Grund für Krebs wäre, was ist dann mit den Menschen, die rauchen, trinken und zu viel essen und sich nie bewegen? Die müssten ja dann alle Krebs haben. Haben sie aber nicht.«
Darüber denkt sie nach. Ihr Haar riecht nach Vanille. Bald muss sie es nicht mehr waschen. Ich verkneife mir einen schlechten Spruch über Einsparungen im Haushalt und hänge meinen eigenen Gedanken nach. So lagen wir als Jugendliche fast täglich zusammen und dachten nach. Wie sehr es mir fehlt, merke ich erst in diesem Moment. Gott, seit Jahren habe ich mir keine Zeit mehr genommen, um nachzudenken. Und mein Leben ging dennoch weiter. Erschreckend.
»Glaubst du, es ist die Strafe dafür, dass ich zwei gesunde Kinder habe?«
Ich mustere ihr Gesicht, um sicherzugehen, dass sie das ernst meint.
»Du meinst so eine Art ausgleichende Gerechtigkeit?« Ich strecke meinen Zeigefinger aus und streichele ihre Wange. »Da steckt kein höherer Plan dahinter, so was passiert einfach. «
Sie spitzt die Lippen. Ihre Nasenflügel werden weiß. Ihre Augen sind dunkel, ihr Gesicht wirkt schmaler als sonst. Höchste Zeit für eine neue Runde Polemik.
»Verlierst du jetzt den Verstand?« Ich tippe ihr an die Stirn. »Wenn es ausgleichende Gerechtigkeit gäbe, dann erklär mal lebende k z -Wärter oder glückliche Pädophile.«
Sie schließt die Augen und atmet tief. Nach einer Weile wird ihre Nase wieder hautfarben.
»Ich versuche nur zu verstehen, warum …«
»Da gibt es nichts zu verstehen«, sage ich und bemühe mich, sicherer zu klingen, als ich mich fühle. »Krankheit ist wertfrei. Niemand hat Schuld. Und ein Gott, der dich bestraft, weil du gesunde Kinder hast, müsste ein ganz schön krankes Arschloch sein.«
Ich sehe an ihren Augen, dass sie mir nicht zuhört. Sie ist auf ihrem Trip.
»Vielleicht weil ich die ganze Zeit meine Gefühle unterdrücke …«, murmelt sie. »Zu wenig Zärtlichkeit, zu viel Selbstkritik, meine Wut auf Volker, die ich immer unterdrücken muss …«
Ich verkneife mir jeden Kommentar. Bei dem Thema ist es schlauer, wenn sie es selbst ausspricht, sonst bricht sie wieder das Gespräch ab. Doch schon der Gedanke, dass Rene vielleicht Krebs haben könnte, weil sie sich ständig über Volker ärgern muss … Mir ist danach, seinem Drehort einen Besuch abzustatten und seine neueste t v -Schmonzette um ein paar Splatterszenen zu bereichern. Ich werde das nie verstehen: Der Typ dreht fünf Filme im Jahr, weiß gar nicht mehr, wohin mit der Kohle, und zahlt weder seine Alimente, noch kann er sich die Geburtstage von zwei Kindern merken. Er tauscht seine Familie gegen eine Karriere im Filmzirkus. Was will der Spinner eigentlich noch erreichen? Er hat doch schon den Oscar und die Lola.
»Vielleicht bin ich selber
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